Predictive Maintenance spart viel Geld

Die Produktionswissenschaftler des IPK blicken mit Hilfe von Predictive Maintenance in die Zukunft von Werkzeugmaschinen: Die vorausschauende Wartung hilft, den optimalen Wartungszeitpunkt zu erkennen, Produktionsausfälle zu vermeiden und Prozesse zu optimieren.

3883

Worauf es bei Predictive Maintenance ankommt und welche Rolle die EMO 2017 in Hannover für sie spielt, berichten Eckhard Hohwieler, Leiter Produktionsmaschinen und Anlagenmanagement, und Claudio Geisert, beide Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik (IPK), Berlin, im Interview:

Herr Hohwieler, wie unterscheiden sich Predictive Maintenance (PM), also die vorausschauende Wartung, und Condition Monitoring?

Eckhard Hohwieler: Condition Monitoring erkennt und überwacht den Verschleißzustand, während Predictive Maintenance die voraussichtliche Entwicklung des künftigen Maschinenzustandes vorhersagt und Instandhaltungsmaßnahmen plant.

Herr Geisert, was und wie nützt PM dem Besitzer von Werkzeugmaschinen?

Claudio Geisert

Claudio Geisert: Die Wartung und Instandhaltung orientiert sich am Zustand der Maschine. Die Mitarbeiter führen also genau die Instandhaltung und Wartung durch, die tatsächlich erforderlich ist. Effektive PM senkt die Anzahl an Wartungsarbeiten und erhöht die Verfügbarkeit der Maschinen. Es kommt außerdem zu einer besseren Planbarkeit der Nutzung von Anlagen, weil Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten nun zu festgelegten Terminen stattfinden.

Ein Spezialgebiet von Ihnen ist das Prozess-Monitoring und die Zustandsdiagnose: Können Sie uns ein Highlight aus Ihrer Forschungsarbeit nennen?

Eckhard Hohwieler

Eckhard Hohwieler: Wir haben für einen Maschinenhersteller eine Werkzeugüberwachung ohne zusätzliche Sensoren oder andere Elektronik verwirklicht. Ein in die Steuerung integriertes Softwarepaket kontrolliert Werkzeugverschleiß und -bruch. Auf dieser Basis entwickelten wir weitere Algorithmen, mit denen sich der Zustand und das Verhalten der Maschine checken lassen. Damit kann ein Mitarbeiter anhand der Kennwerte der Antriebsachsen erstaunlich genau Schwachstellen ermitteln: Auf diese Weise wurden sogar Textilfehler in Riemenantrieben entdeckt.

Wo liegen hier die Daten – beim IPK oder dem Unternehmen? Wem gehören die Daten bzw. wer darf sie wie nutzen?

Claudio Geisert: Die an der Maschine während der Nutzungsphase anfallenden Daten gehören – sofern nicht anders vertraglich geregelt – dem betreibenden Unternehmen. In der Regel geben die Unternehmen diese Daten nicht nach außen, da sie befürchten, dass sich darunter auch sensible Informationen befinden bzw. sich daraus ableiten lassen. Eine gängige Lösung ist die Installation eines entsprechenden Servers innerhalb des Firmennetzes. Damit geht dem Hersteller allerdings auch wieder die Möglichkeit verloren, zusätzliche Erkenntnisse über das Verhalten seiner Maschinen im Feld zu gewinnen. Um diesem Problem Herr zu werden, ist grundsätzlich eine vertrauensvolle Partnerschaft zwischen Hersteller und Betreiber notwendig; eine vertragliche Absicherung zur Nutzung der Daten ist aber sicher hilfreich.

Wie hat sich diese neue Form der Überwachung bei Ihnen zu PM weiterentwickelt?

Eckhard Hohwieler: Wir nahmen bei einem Projekt zu eMaintenance unter die Lupe, wie sich Informationen aus dem Condition Monitoring zum Planen von Wartungsmaßnahmen nutzen lassen. Als Hilfsmittel diente ein elektronisches Service-Check-Heft, das die nötigen nächsten Arbeitsschritte angibt. Es erklärt auch, wie der Anwender die Wartungsarbeiten vorbereiten und durchführen soll; und wo er die dazu nötigen Werkzeuge ordern kann.

Gibt es ein Praxisbeispiel für eine PM-Lösung, die Sie mit einem Werkzeugmaschinenhersteller entwickelt haben?

Claudio Geisert: Die Automobilindustrie verlangt von den Maschinenherstellern Garantien zur Verfügbarkeit und Angaben zu den erwarteten Lebenszykluskosten. Das erfordert jedoch eine lückenlose Überwachung der Maschine. Unsere mit dem Schleifmaschinenhersteller Schaudt-Mikrosa entwickelte Lösung – eine elektronische Überwachung der Antriebselemente über die Maschinensteuerung – erfasst und wertet sämtliche Meldungen und Signale der Anlage aus. Daraus ermittelt das System das dynamische Verhalten der Antriebsachsen und -spindeln über einen längeren Zeitraum. Diese Lösung kommt mittlerweile in allen Maschinen zum Einsatz.

Wie nutzt das PM-Tool dem Hersteller?

Eckhard Hohwieler: Schaudt-Mikrosa setzt es bereits als wichtiges Werkzeug der Qualitätssicherung ein – beispielsweise in der Maschinenabnahme oder in der Garantiephase zum Klären der Ursachen für Schädigungen, wie Kollisionen zwischen Antriebselementen, Werkzeugen und Bauteilen.

Claudio Geisert: Die Service-Mitarbeiter nutzen das Tool für den Blick zurück: Sie sehen dank der lückenlosen Datenerfassung und -speicherung, wann und unter welchen Umständen Probleme erstmalig auftraten und erkennen so leichter, wie sie sich beheben lassen.

Beim Monitoring und der Zustandsdiagnose fallen sehr große Datenmengen an. Beim Erfassen von 20 Werten (64 Bit) pro Millisekunde speichert die Elektronik laut Aachener Werkzeugmaschinenlabor bei einer 8-Stunden-Schicht bereits mehr als vier Gigabyte. Wie gehen Sie beim Auswerten von derartigen Datenmengen, sprich Big Data, vor?

Eckhard Hohwieler: Es ist für uns nicht problematisch, weil wir nicht die Rohdaten erfassen, sondern nach dem Motto „Smart Data statt Big Data“ nur die typischen Kennwerte ermitteln und speichern. Ich habe nämlich den Eindruck, dass Big Data oft erst wegen der Möglichkeit zur Speicherung großer Datenmengen und dem Erzeugen von redundanten Datenkopien entsteht. Es ist sinnvoller, vor dem Speichern in der Nähe der Maschine eine intelligente Vorauswahl zu treffen, bevor dann ein reduzierter Datensatz in die Cloud wandert.

Wie kann man sichergehen, dass ein reduzierter Datensatz nicht Effekte übersieht, die dann nicht mehr nachvollziehbar sind? Welche Möglichkeiten gibt es schon, eine Auswahl zu treffen?

Claudio Geisert: Die Komprimierung von Rohdaten auf ausgewählte Kennwerte ist immer verlustbehaftet. Somit ist nicht auszuschließen, dass Effekte übersehen werden. Das gilt allerdings auch schon für die Datenerfassung: Welche physikalischen Größen sollen mit welchen Sensoren mit welcher Genauigkeit überhaupt erfasst werden? Ohne ein gewisses Maß an domänenspezifischem Expertenwissen ist ein Monitoring-Konzept nicht umsetzbar.

Um die richtige Auswahl zu treffen, kann man in der Entwicklungsphase Verfahren des „Machine Learning“ nutzen. Diese helfen dem Experten bei der Auswahl aussagekräftiger Kennwerte. Es gilt eigentlich immer, dass für die Entwicklung eines nachhaltigen Monitoring-Konzepts Know-how zur fundamentalen Theorie, gepaart mit Erfahrungswissen, unumgänglich ist.

Was bringt der Einsatz von Predictive Maintenance dem Hersteller auf lange Sicht?

Eckhard Hohwieler: Es kommt zu einem Flotteneffekt. Im Laufe des Lebenszyklus‘ der Produktionsanlagen beim Kunden fallen nämlich sehr viele Informationen an, mit denen sich der Herstellerservice verbessern lässt.

Bitte Ihre persönliche Vision: Wie könnte – im Zusammenspiel mit Industrie 4.0 – eine optimale PM-Lösung aussehen?

Eckhard Hohwieler: Denkbar wäre es, dass die Maschine die entstehenden Informationen selbst nutzt, um ihren Prozess zu optimieren oder um den Wartungsservice zu „rufen“.

Was erwarten Sie – auch mit Blick auf Ihre Forschungsarbeit und Predictive Maintenance – von Ihrem Besuch auf der EMO Hannover 2017, der Weltleitmesse für Metallbearbeitung?

Eckhard Hohwieler: Ich bin sehr gespannt, wie sich die Maschinenhersteller auf das Thema einstellen und welche Apps sie dazu vorstellen. Vielleicht präsentiert auch schon jemand die Werkzeugmaschine 4.0, die twittert und mit der sich der EMO-Besucher über sein Smart Phone verbinden kann.

(Das Interview führte Nikolaus Fecht, Fachjournalist aus Gelsenkirchen)


Blick in die Praxis: Predictive Maintenance in der Werkzeugmaschinen-Industrie

Dr. Holger Rudzio

Das Interesse und die Anforderungen von Werkzeugmaschinen-Kunden an Predictive Maintenance nehmen zu. Dabei gilt Industrie 4.0 als beschleunigender Faktor. „Predictive Maintenance ist dabei auch Teil von Industrie 4.0, wenngleich unsere Kunden die beiden Themen sehr wohl sehr differenziert betrachten“, sagt Dr. Holger Rudzio, Geschäftsführer DMG Mori Software Solutions GmbH aus Kempten. „So kann Predictive Maintenance auch ohne einen Industrie 4.0-Ansatz realisiert werden.“

Die vorausschauende Wartung und damit die Anforderungen der DMG Mori-Kunden zielen darauf ab, mögliche Defekte einer Maschine oder Probleme eines Prozesses zu erkennen, bevor sie tatsächlich eintreten. Das Unternehmen verfügt über die dazu nötigen Predictive Maintenance-Komponenten einschließlich der entsprechenden Programme zur Erfassung, Auswertung und Visualisierung (siehe Gemeinschaftsentwicklung Werkzeugmaschine 4.0 mit INA Schaeffler): Sensoren in der Maschine registrieren kleinste Veränderungen, die mit entsprechenden Grenzwerten verglichen werden, um daraus zukünftige Ereignisse vorherzusagen.

Künstliche Intelligenz in der Datenwolke

Die Akzeptanz und der Erfolg von Predictive Maintenance stehen und fallen mit der Qualität der Informationsgewinnung und dem Kundennutzen der Vorhersagen. Deshalb setzt DMG Mori auf die Entwicklung leistungsfähiger Auswertungslogiken, um gemeinsam mit seinen Kunden aus den erfassten Massendaten effektiv die nötigen Informationen herauszufiltern und daraus zuverlässige Vorhersagen für seine Maschinen und die Prozesse seiner Kunden zu berechnen. Rudzio: „Zukünftig werden Cloud-basierte Lösungen auf Basis künstlicher Intelligenz an Bedeutung gewinnen. Entsprechende Ergebnisse präsentieren wir dem Fachpublikum auf der EMO Hannover 2017 in Halle 2.“

Schon seit mehr als zehn Jahren beschäftigt sich die Schwäbische Werkzeugmaschinen GmbH aus Waldmössingen unter dem Begriff „life data“ mit einer umfassenden Datenerfassung, die Predictive Maintenance unterstützt. Das Interesse dafür nimmt zu, beobachtet Sandra Schuster, Industrial Data Services: „In den vergangenen ein bis zwei Jahren merkt man ganz stark, dass durch den Trend zu Industrie 4.0 eine wesentlich größere Akzeptanz zum Thema Cloud da ist oder zumindest der Wille und Wunsch, sich damit zu beschäftigen.“

Sandra Schuster

Geändertes Bewusstsein bei den Kunden

Früher musste das Unternehmen immer auf die Kunden zugehen, um sie zum Thema Datenerfassung mit teilweise viel Überzeugungsarbeit anzusprechen. Doch inzwischen wollen viele Kunden die Produkte aus Waldmössingen einsetzen und sich meist auch zusätzlich beraten lassen. Schuster: „Die Anforderungen – also Kostenreduzierung, Transparenz in den Produktions- und Instandhaltungsprozessen sowie bessere Ressourcenplanung – sind aber prinzipiell immer noch die gleichen.“ Nur habe sich das Bewusstsein geändert, wie das Unternehmen die Themen angehe.

Auf digitale Transparenz setzen auch die Hersteller von Anlagen zum Blechumformen. So gewährt zum Beispiel das Machine Monitoring System (MaMS) der Göppinger Schuler AG neue Einblicke in Pressen: Der Anwender kann dank umfassender Anlagenüberwachung die Verfügbarkeit erhöhen, die Produktions- und Teilequalität verbessern und den Energiebedarf senken.

Das MaMS gehört zum Smart Press Shop, in dem Schuler Lösungen zur Vernetzung in der Umformtechnik sammelt. Darin werden Daten für intelligente Diagnose, Zustands-, Prozess- und Energieüberwachung sowie Betriebsdatenerfassung zusammengeführt. So kann ein Unternehmen über MaMS Kennwerte und Daten aller Art sammeln und bewerten. Anlagenbetreiber erhalten auf diese Weise eine Übersicht des Produktionsstatus und die Grundlage zur Berechnung der Gesamt-Anlageneffektivität (Overall Equipment Efficiency, OEE).

Das System erfasst und archiviert außerdem für jedes produzierte Teil alle für die Qualität wichtigen Daten (z.B. typische Prozessparameter wie Takt oder Festigkeit des umgeformten Werkstoffs). Das versetzt den Anwender in die Lage, den unter anderem bei Sicherheitskomponenten für die Automobil- oder Flugzeugindustrie erforderlichen Nachweis – der Experte spricht von dokumentationspflichtigen Teilen – zu erbringen.

Kontakt:

www.emo-hannover.de