Robotik für alle

Roboter lohnen sich nur für die Großserienfertigung in Industriebetrieben, müssen aufwendig von hochspezialisierten Technikern programmiert werden und sind unflexibel: Wenn es nach dem Fraunhofer IWU geht, dann war das gestern. Auf der automatica zeigt das Institut, dass das auch anders aussehen kann.

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Die Mensch-Roboter-Interaktion ist gleichermaßen für Industrieroboter und Leichtbauroboter geeignet.(Bildnachweis: Fraunhofer IWU)

Die Vision: Jede Person muss einen Roboter programmieren können, und das muss so schnell und unkompliziert funktionieren, dass sich der Einsatz des maschinellen Helfers auch für eine einzelne Anwendung lohnt, die kein weiteres Mal benötigt wird – wie die Lackierung eines handgefertigten Unikats. Die Idee dabei: der Mensch kann sich ganz auf das konzentrieren, was er besonders gut kann (das Einzelstück fertigen), der Roboter nimmt ihm weniger wertschöpfende, unangenehme, zeitraubende oder nicht ergonomische Tätigkeiten ab (wie in unserem Beispiel das Lackieren).

Mit der Mensch-Roboter-Interaktion erreicht das direkte Zusammenspiel von Mensch und Maschine nun eine ganz neue Qualität. Dank der vom Fraunhofer IWU getriebenen multimodalen Interaktionsstrategie können Mitarbeitende in der Produktion künftig selbständig, einfach und präzise die Bewegungsabläufe des Roboters festlegen, der sie in ihrer Tätigkeit unterstützen soll. Denn die multimodale Interaktion ermöglicht es, Roboter ganz ohne Programmierkenntnisse intuitiv über Gesten und Sprachbefehle zu programmieren.

Heute ist der Einsatz von Robotern in der Fertigung noch mit einem hohen Aufwand verbunden. Roboterprogrammierer müssen dazu die gewünschten Bewegungsabläufe mithilfe von herstellerspezifischen Programmiersprachen festlegen. Künftig wird Programmieren zum Kinderspiel.

Steuerung eines Roboters mit Gesten und natürlicher Sprache. (Bildnachweis: Fraunhofer IWU)

Um den Roboter für die gewünschte Abfolge der Bewegungen anzulernen (Teachen), genügt es dank SmartGesture, die Punkte der Bewegungsbahn mit dem Finger anzuzeigen (Fingertracking) und mit einem einfachen Sprachbefehl festzulegen. Der Roboter kann diese Bewegungsbahnen unmittelbar nachvollziehen und so zeigen, dass er die gewünschten Bewegungen exakt umsetzen kann.

Die Programmierung per Fingertracking und Sprachsteuerung kann sogar remote, also ortsunabhängig erfolgen. Ist die gesamte Bewegungsbahn des Roboters festgelegt, hat das System auch schon die Sicherheitszone definiert: Kommt ihm ein Mensch zu nahe, verlangsamt er seine Bewegungen oder bremst bis zum Stillstand ab. Für viele Arbeitsaufgaben, beispielsweise Lackieren oder Polieren, genügt die ohne zusätzliche
Hilfsmittel erreichbare Teaching-Genauigkeit von etwa 0,5 cm. Ein Fingerspitzenaufsatz kann die Präzision bei Bedarf nochmals deutlich erhöhen.

Anspruchsvolle Lackieraufgaben schnell, einfach und wirtschaftlich umsetzen dank der beim Fraunhofer IWU entwickelten Softwarebausteine für die Mensch-Roboter-Kollaboration. Versuchsträger des Projektpartners Fa. Rülke GmbH, Eppendorf. (Bildnachweis: Fraunhofer IWU)

Das Team um Dr. Mohamad Bdiwi, Leiter Kognitive Mensch-Maschine-Systeme am
Fraunhofer IWU, hat für die multimodale Mensch-Roboter-Interaktion sowohl Cobots als auch konventionelle Industrieroboter im Blick. Nicht zuletzt die Verknüpfung von intelligenter Bahnplanung und Sicherheitszonierung in Echtzeit ermöglicht viele Einsatzszenarien. Auch der Verzicht auf zusätzliche Geräte hält den Aufwand gering. Lediglich eine Vision-Sensorik mit RGB-D Kamera zur Erfassung der Finger- und Handbewegungen sowie ein Spracherkennungs-Board für die Spracherkennung werden benötigt. Dies öffnet die Perspektive für breite Einsatzmöglichkeiten.

Ziel ist es, die Robotik noch wirtschaftlicher und damit auch für kleinere industrielle Fertigungen oder das Handwerk interessant zu machen – bis hin zur Stückzahl 1. Mohamad Bdiwi: »Heute gehören Schreibtisch und PC, Notebook oder Tablet ganz selbstverständlich zusammen. Warum sollte künftig nicht auch in jeder Werkstatt ein einfach zu programmierender Roboter stehen – oder zumindest stehen können?«

Insbesondere in Kombination mit einem intelligenten, von der Roboterbahn unabhängigen
Werkzeug ergeben sich faszinierende Anwendungsmöglichkeiten. Das Robotik-
Team des IWU demonstriert auf der automatica, wie beispielsweise die in Geometrie
und Oberflächenbeschaffenheit anspruchsvolle Abdeckung der Klaviatur eines Klaviers
robotergestützt schnell und hochwertig lackiert werden kann.

Ohne jegliches Dazutun des Anwenders übernehmen die Software RobFrame und ein digitaler Zwilling in einer Umgebung zur Virtuellen Inbetriebnahme die Optimierung und Validierung der Roboterbahn, um Kollisionen mit dem zu lackierenden Teil oder anderen Gegenständen bzw. Personen zu vermeiden. Die Softwarepakete DynaRisk und SafeZone garantieren zusätzlich maximale Sicherheit bei minimiertem Platzbedarf.

XEIDANA übernimmt die Endkontrolle im Rahmen einer 100%-Prüfung und kommt als KI-basiertes, adaptives Werkzeug auch nicht bekannten Fehlern auf die Spur. (Bildnachweis: Fraunhofer IWU)

Eine KI-Lösung unterstützt dabei, Einflussgrößen wie die genaue Beschaffenheit der Holzoberfläche (Maserung, Rauigkeit), Lackeigenschaften und Lichtreflexionen des feuchten Lacks (optische Überwachung des Ergebnisses) im Sinne eines optimalen Lackierergebnisses zu berücksichtigen.

»Damit entkoppeln wir die Roboterbahn vom Werkzeugverhalten, das mit eigener Sensorik ausgestattet beispielsweise die Lackmenge feindosieren kann«, so Dr. Marcel Todtermuschke, Leiter des Geschäftsfelds Agile Produktionsmaschinen und -anlagen am Fraunhofer IWU. Der Baustein XEIDANA übernimmt die Endkontrolle der lackierten
Oberfläche im Rahmen einer 100%-Prüfung und kommt als KI-basiertes, adaptives
Werkzeug auch nicht bekannten Fehlern auf die Spur. »Wir sehen den Roboter künftig
in der Rolle einer unentbehrlichen Stütze im Handwerk, fast so wie ein Geselle«, so
Marcel Todtermuschke.

Zeitgewinn dank Virtueller Inbetriebnahme

Digitale Zwillinge können bei der Optimierung von Roboterbahnen wertvolle Dienste
leisten, aber auch bei der Virtuellen Inbetriebnahme von Maschinen und Anlagen unter
stützen. Gerade wenn es Verzögerungen im Entwicklungsprozess gibt: die Virtuelle
Inbetriebnahme am Beispiel des Simulationsturms hilft, Funktionen von Maschinen oder
Anlagen virtuell abzusichern – parallel zum Hardwareaufbau, auch aus dem Homeoffice
heraus: damit keine Zeit verloren geht.

Toolchanger: 3D-Druck mit oder ohne 3D-Drucker

Das Fraunhofer IWU hat ein besonderes Ass im Ärmel, um den Herausforderungen instabiler globaler Lieferketten, verteilter Produktionsstätten und knapper Ressourcen zu
begegnen: den Toolchanger, der die additive Fertigung funktionaler Produkte im Mix
verschiedener Materialien erlaubt – innerhalb ein und derselben Maschine. Dank des
Wechselsystems im Prototyp können im Druckprozess vier verschiedene Werkzeugköpfe
genutzt werden. Die für den Toolchanger entwickelten Funktionalisierungsköpfe können
auch Roboter-geführt in flexibler Fertigung zum Einsatz kommen.

Sichere und leistungsstarke Soft-Robotik für menschennahe Aufgaben

Das Fraunhofer IWU vereint mit Hilfe neuartiger schaltbarer Steifigkeiten in der Robotik
die benötigte Kraft mit der nötigen Sicherheit und schließt so die Lücke zwischen leistungsstarker Industrierobotik und sicherer, aber leistungsschwacher Soft-Robotik. Die
Kombination aus vermeintlich gegensätzlichen Eigenschaften ermöglicht Roboter mit
bisher nicht erreichter Einsatz- und Bewegungsflexibilität.

Auf der automatica stellen die Forschenden ein erstes Konzept für einen Roboterarm vor, der Menschen künftig in ihrem unmittelbaren Umfeld unterstützen kann – etwa bei menschennahen Aufgaben in Haushalt oder Pflege, aber auch in schwer zugänglichen Bereichen. Ein solcher Roboter könnte künftig auch Montage- oder Reparaturarbeiten im Haushalt übernehmen.

Fraunhofer IWU auf der automatica in Halle A4, Stand 411.

Kontakt:

www.iwu.fraunhofer.de