Horns ‘genetisches’ Erfolgskonzept

Markus Horn und Matthias Rommel, CEOs der Hartmetall-Werkzeugfabrik Paul Horn GmbH, erzählen im Interview, wie sie das erfolgreiche mittelständische Unternehmen durch die Herausforderungen unserer Zeit navigieren.

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CEO Markus Horn führt die Geschäfte der Hartmetall-Werkzeugfabrik Paul Horn GmbH in 3. Generation der Eigentümerfamilie (Bildnachweis: Dieonlinemagazine.de)

Geniale Dinge bestechen oft durch ihre Einfachheit. Die Hartmetall-Werkzeugfabrik Paul
Horn in Tübingen offenbarte auf ihren jüngsten Technologietagen viele Facetten ihres
Erfolgskonzepts, das letztlich auf einer tief verwurzelten Kundenorientierung beruht.
Im Interview spricht die Horn-Geschäftsführung in Person von Markus Horn, CEO, und
Matthias Rommel, ebenfalls CEO, über ihre Strategien, ein erfolgreiches mittelständisches
Unternehmen durch die Herausforderungen unserer Zeit zu navigieren.

Das Interview führten Helmut Damm und Frank Dietsche

Helmut Damm: Herr Horn, Sie sprachen auf den Technologietagen von Wachstum in stabilen Märkten und von Investitionen vor allem in das Stammwerk in Tübingen. Ein solch positiver Ausblick für ein in Deutschland verwurzeltes Unternehmen ist unter den gegebenen Rahmenbedingungen außergewöhnlich. Wo bleibt die Kritik an der Politik?

Markus Horn: Unser Motto hier bei Horn lautet: ‘Jede Perspektive lässt sich erarbeiten, auch wenn man sie noch nicht sieht’. Wir beschäftigen uns also in erster Linie mit Dingen, die wir in der Hand haben. Was die Politik unserer Regierung angeht, muss man feststellen, dass die Veränderungsgeschwindigkeit, die uns die Ampelkoalition zumutet, gelinde gesagt herausfordernd ist. Es geht vielen Unternehmern zu schnell und Überforderung führt zu Frustration, ebenso in der Bevölkerung. Das ändert aber nichts an unserem Bekenntnis zum Standort Deutschland und zu Tübingen.

Damm: Horn ist mittlerweile in 70 Ländern aktiv, da würde sich doch sicher etwas finden lassen …

Horn: Das ist nicht zuletzt eine Frage der Grundphilosophie. Horn war schon immer technophil. Wir lieben die Technik und den Fortschritt, und da hat Deutschland international
immer noch einen sehr hohen Standard, auch hier in der Universitätsstadt Tübingen. Als Familienunternehmen denken wir zudem an unsere Umwelt und sind auch in gewisser Weise sozial eingestellt, vor allem regional gemeinsam mit unseren Mitarbeitern. Unsere Werte passen also sehr gut nach Tübingen.

Damm: Und hätten Sie drei Wünsche an die Regierung frei …

Horn: … begnügte ich mich in schwäbischer Bescheidenheit mit zweien: Das Ende des Zickzack-Kurses zugunsten einer klaren Linie, die dann aber bitte auch eingehalten wird. Und
den dringenden Abbau der Bürokratie, die sich zunehmend als Hemmschuh erweist. Nach einer Studie des VDMA müssen Unternehmen in Deutschland inzwischen genauso viel in Bürokratie investieren wie in die eigene Forschung und Entwicklung. Das ist für unsere Wirtschaft auf Dauer fatal.

Damm: Läuft Deutschland Gefahr, einen wichtigen Standortvorteil, die Versorgung mit Fachkräften, infolge der demografischen Entwicklungen und veränderter Interessen bei der nachfolgenden Generation zu verspielen?

Horn: Das erste Problem ist systembedingt und unausweichlich. Erfahrene Mitarbeiter gehen in den wohlverdienten Ruhestand, was wir natürlich bedauern, weil wir sie schätzen. Andererseits fordern und fördern wir unsere jungen Fachkräfte, wozu auch die Perspektive gehört, Verantwortung übernehmen zu können. Das geht nur, wenn eine gewisse Übergabe stattfindet. Wenn man dem Nachwuchs das Selbstverständnis vermittelt hat, dass der Kunde im Mittelpunkt allen Handelns steht, kann aus dem Hinterfragen von Prozessen nur Fortschritt entstehen.

Zum zweiten Aspekt: Auch wir spüren ein nachlassendes Interesse an unseren Ausbildungsplätzen, obwohl wir sehr viel getan haben und weiterhin tun, um ein attraktiver Arbeitgeber zu sein. Statt über 200 Bewerbungen für einen Ausbildungsplatz erhalten
wir nur noch zweistellige Zahlen. Aber solange das persönliche Gesamtbild stimmt, können wir jungen Menschen ein Stück weit formen, weiterqualifizieren und an ihren Sweet Spot führen, an dem sie sich wohlfühlen und bei uns bleiben.

Frank Dietsche: Das Horn-Portfolio an Produkten und Dienstleitungen ist über die Jahre gewachsen. Gibt es dennoch Lücken, die man via Zukauf schließen wollte?

CEO Markus Horn im Dialog: „Wenn es einen Trend bei Horn gibt, dann ist es Kontinuität. Wir wollen alle Wertschöpfungsprozesse beherrschen und möglichst in eigener Hand halten.“ (Bildnachweis: Dieonlinemagazine.de)

Horn: Nein. Wachstum als Selbstzweck oder generelle Portfolio-Maximierung liegen uns fern. Unsere Denkweise war schon immer, die Zerspanungsprozesse nach Ansatzpunkten zu durchforsten, wo wir etwas besser machen können als andere, Lösungen zu erarbeiten, teilweise gemeinsam mit Partnern und Forschungseinrichtungen, und diese zur Marktreife
zu bringen. Wenn es einen Trend bei Horn gibt, dann ist es Kontinuität.

Wir beherrschen alle Wertschöpfungsprozesse und halten möglichst alles in eigener Hand. Man kennt uns in erster Linie als Präzisionswerkzeughersteller, aber wir sind auch ein ganz ordentlicher (interner) Maschinen- und Vorrichtungsbauer, sind auch im Bereich der additiven Fertigung als Lieferant kundenspezifischer Bauteile unterwegs und beschäftigen uns zunehmend mit Softwareentwicklung im Hinblick auf unsere eigene Produktion.

Dietsche: Wie entwickelt sich das Thema ‘Greenline’, also nach Kundenwunsch gefertigte Werkzeuge mit definierter Lieferfrist?

Matthias Rommel: Beim Thema Sonderwerkzeuge scheiden sich bei den großen Werkzeugherstellern die Geister. Lohnt es sich oder nicht, ist die zentrale Frage. Und wenn dann, wie bei unserem Greenline-Konzept, auch noch eine Durchlaufzeit
zugesagt wird – wir sagen einen Liefertermin fünf Arbeitstage nach Zeichnungsfreigabe durch den Kunden bei Wendeschneidplatten zu –, stellt das enorme Anforderungen
an die Organisation.

Der Bereich Sonder, der bei uns mittlerweile 50 Prozent des Gesamtvolumens ausmacht, entwickelt sich hervorragend. Das liegt daran, dass genau das in den kundenorientierten Horn-Genen steckt. Wir sind darauf ausgerichtet, es prägt unser Denken und die
Organisation unserer Produktion. Viele der technologischen Innovationen, wie zum Beispiel das auf unseren diesjährigen Technologietagen präsentierte Projekt Zyklo-Med zur Herstellung funktionsintegrierter Implantate, werden, wenn sie sich durchsetzen, nicht
standardisierbar und damit Sonderlösungen sein.

Damm: Was kann Horn in diesem Kontext, was andere Hersteller nicht in gleichem Maße können?

Rommel: Horn hat bereits in der Zeit von Lothar Horn ganz gezielt reinvestiert statt abzuschöpfen. Mit dem Ergebnis, dass heute alles da ist, was man braucht: die finanziellen Mittel, die Kapazitäten, die Technologien und das Denken der handelnden Personen. So fährt Horn permanent bewusste Überkapazitäten, die genau jene Freiräume bieten, um parallel zu den Standards jederzeit bevorzugt Greenline-Sonderwerkzeuge über die gleichen Anlagen zu schleusen, ohne dass es an anderer Stelle kneift.

Dass sich das trotzdem rechnet, nun ja, das ist schlichtweg erarbeitet. Es ist bekannt, dass Horn keine teuren Werkzeugschleifmaschinen kauft, sondern Schleifmaschinen nach eigenen Standards auf der kinematischen Basis von Bearbeitungszentren realisiert. Diese richten wir dann nochmals besser aus, als es am Markt üblich ist. Das können wir inzwischen. Außerdem unterziehen wir alle Schleifmaschinen infolge der abrasiven Prozesse und der Kühlschmierstoffzufuhr nach fünf Jahren einem Inhouse-Retrofit, und haben dann neuwertige Maschinen.

Diese unternehmerischen Meisterleistungen führen Markus Horn und ich weiter. Hinzu kommen Softwaretools, die wir zunächst für den internen Gebrauch generieren und die unser Know-how gezielt im Sinne optimierter und durchgängiger Prozesse bündeln. HTC steht für Horn Tool Configurator und beschleunigt die CAD-CAM-Prozesse bei Sonderwerkzeugen,
HMS steht für Horn Machining Solutions oder HGS für Horn Grinding Software. Dies werden wir weiter ausbauen.

Dietsche: Gibt es weitere Produkte, die man in das Greenline-Konzept aufnehmen will?

Rommel: Wir arbeiten gerade an einer Ausweitung des 5-Tage-Lieferzeitraums nach Zeichnungsfreigabe durch den Kunden auch auf individuelle Werkzeughalter. Es gibt dabei derzeit noch zeitliche Restriktionen, die rein aus der externen Wärmebehandlung resultieren, die drei Arbeitstage erfordert. Dass wir es abseits davon können, haben wir beispielhaft auf unseren Technologietagen gezeigt, für Varianten, die wir aus dem vollen Hartmaterial
zerspant haben. Das ist jedoch angesichts der Werkstoffpreise kosten – technisch und auch in puncto Nachhaltigkeit grenzwertig. Hier werden wir in eine eigene Wärmebehandlung
investieren, die Projektierung ist bereits fortgeschritten. Dann starten wir durch.

Dietsche: Welche Rolle spielt das Thema Beschichtung bei Horn? Es wurde ja in diesem Jahr nachhaltig investiert in weitere Beschichtungsanlagen.

Rommel: Eine ganz zentrale Rolle, denn es gibt kaum noch unbeschichtetes Hartmetall in der Zerspanungsanwendung beim Kunden. Gold, lila, anthrazit, kupferfarben – Beschichtungen
sind nicht nur farbig, sondern einer der drei Erfolgsfaktoren eines Zerspanungswerkzeugs. Das fertige Präzisionswerkzeug ist ein Zusammenspiel aus Beschichtung, Substrat und Geometrie. Allein eine neue Schicht zu verwenden, erzielt oft nicht das gewünschte Ergebnis. Wenn man allerdings alle drei Erfolgsfaktoren aufeinander abstimmt, sind nicht nur leichte Verbesserungen, sondern wirklich große Standzeitsprünge möglich.

Wir bei Horn beschichten seit vielen Jahren inhouse. Seit 2016 sind wir auch mit selbst entwickelten Beschichtungen am Markt. Wir wollen angesichts des Wachstums unbedingt lieferfähig bleiben und haben deshalb in Beschichtungsanlagen investiert. Mit unserem Partner CemeCon und dessen HiPIMS-Technologie sehen wir uns da sehr gut aufgestellt.

Damm: Das Rad wird also unaufhörlich weitergedreht, ohne dabei das genetisch manifestierte Erfolgskonzept von Horn zu verlassen. Gibt es weitere evolutionäre Schritte, auf die sich die Kunden freuen dürfen?

Rommel: Das Motto unserer diesjährigen Technologietage Mitte Juni war ‘Prozesse beherrschen’. Nur wenn wir die Prozesse beherrschen, können wir deren Grenzen verschieben
– bei unseren Kunden und bei uns intern. In diesem Sinn kommen heute weiterentwickelte Versionen unserer Schleifmaschinen zum Einsatz, bei denen wir erstmalig eigenständig die Spindel projektiert haben. Auch den Werkzeugwechsler, der ja letztlich der Schleifdornwechsler ist, und einen Doppel-Werkstückträger haben wir konzipiert und sind schließlich bei der adaptierten Automation von einem Linearkonzept auf einen Knickarm-Roboter gewechselt. Aktuell arbeiten wir am nächsten Konzept. Es geht also unaufhörlich weiter.

CEO Matthias Rommel: „Wenn ein aufgeweckter Kunde, ein pfiffiger Werkzeugmaschinenbauer und ein technikverliebter Werkzeughersteller
zusammenkommen, ist alles möglich.“ (Bildnachweis: Dieonlinemagazine.de)

Über die bereits erwähnten internen Softwaretools werden unsere Prozesse noch
schneller, qualitativ reproduzierbarer und dokumentierter. Und, nicht unwichtig in Zeiten zunehmender Cyberkriminalität: Die Maschine wird zum Neutrum, das Knowhow liegt abgeschottet und geschützt in rein internen Systemen. Und wer weiß: Wenn ein aufgeweckter Kunde, ein pfiffiger Werkzeugmaschinenbauer und ein technikverliebter Werkzeughersteller zusammenkommen, ist alles möglich.

Herr Horn, Herr Rommel, danke für das Gespräch.

Kontakt:

www.horn-group.com