Junge Mutter hat Werkzeugmaschinen im Griff

Ausbildung zur Zerspanungsmechanikerin im Haas Technical Education Centre (HTEC), einer sozialpädagogischen Einrichtung der Jugendhilfe Waldhaus in Hildrizhausen.

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Julia Bähr ist eine 18 Jahre junge Mutter mit einem acht Monate alten Sohn. Sie lernt im zweiten Ausbildungsjahr zur Zerspanungsmechanikerin mit Spezialisierung für Fräsmaschinen. Jeden Tag arbeitet Julia im Haas Technical Education Centre (HTEC) der sozialpädagogischen Einrichtung der Jugendhilfe Waldhaus in Hildrizhausen, unweit Böblingen, an den CNC-Maschinen von Haas. Sie ist das einzige Mädchen unter den 14 Jugendlichen, die gegenwärtig zum Zerspanungsmechaniker oder Teilezurichter im Waldhaus ausgebildet werden. Julia hat ihren Platz gefunden und noch mehr als das: „Sie ist eine selbstbewusste Mutter, ruhig, aber nicht zu ruhig, und sie bringt einen ganz anderen Ton in diese männlich orientierte Werkstatt ein“, lobt Werkstattleiter Edgar Stark. Er würde sich wünschen, dass sich die anderen Auszubildenden gelegentlich ein Beispiel an Julia, an ihrer Entschlossenheit, ihrer Willenskraft und auch an ihrer Pünktlichkeit nehmen würden.

Stark sagt, dass diese Eigenschaften nicht bei allen männlichen Auszubildenden in den Werkstätten vom Waldhaus zu erkennen wären. Viele kommen aus sozial benachteiligten Familien mit häufig sehr problematischen Verhältnissen. Manchmal haben sie beispielsweise Schwierigkeiten, nach einer kurzen Nacht oder wenn ihr Arbeitseifer sie vorübergehend verlassen hat, morgens aus dem Bett zu finden. Das macht es den Ausbildern oft sehr schwer, sie wieder auf Linie zu bringen und zu motivieren.

„Mit Julia haben wir in dieser Hinsicht keinerlei Probleme“, bestätigt Stark. „Sie kann sich sehr gut selbst motivieren.“ Die Nacht vor diesem Interview war wegen ihres kleinen Sohnes sehr kurz. „Ich habe höchstens vier Stunden geschlafen“, meint sie, „aber es würde mir nicht im Traum einfallen, am nächsten Morgen nicht an meinen Maschinen arbeiten zu wollen.“ Julia ist motiviert, obwohl sie an der dreifachen Belastung aus Baby, Schule und den Verpflichtungen in der Werkstatt schwer zu tragen hat. Sie lässt sich das aber nicht anmerken und erzählt begeistert von ihrer Arbeit. Das blonde Haar zum Pferdeschwanz gebunden, beide Daumen lässig hinter den Trägern des Blaumanns gehakt, erläutert sie, wie sie dazu gekommen ist, sich mit Metall zu beschäftigen. Zuerst, sagt sie, wollte sie Frisörin werden, aber nachdem sie nur so aus Spaß in der Schlosserei ihres Vaters ein kurzes Praktikum gemacht hatte, war ihre Begeisterung für die Metallbearbeitung geweckt. Dem Abschluss der Realschule folgte eine einwöchige Probearbeit in den Ausbildungswerkstätten vom Waldhaus. Auf den metallbearbeitenden Maschinen fertigte sie ein Brettspiel, Flaschenöffner und Aluminiumschilder. „Das hat richtig Spaß gemacht“, erinnert sie sich. Es dauerte nicht lange und sie erhielt einen vollwertigen Ausbildungsplatz.

Das HTEC-Konzept ist eine einzigartige Initiative der Industrie, die es technischen Ausbildungseinrichtungen ermöglicht, die neuesten CNC-Werkzeugmaschinen und entsprechendes Zubehör zu erwerben, damit die häufig aus benachteiligten Verhältnissen stammenden Auszubildenden eine für die Arbeitgeber in der Branche interessante technische Qualifikation erhalten und auf die Herausforderungen der zukünftigen Produktion vorbereitet werden.

Der erste Tag an einer CNC-Maschine war für Julia ein ganz besonderes Erlebnis: „CNC ist einfach umwerfend! Ich war Feuer und Flamme. Meine erste CNC war die Haas Fräsmaschine für den Werkzeug- und Vorrichtungsbau, dessen Steuerung noch relativ einfach zu verstehen ist. So etwas vergisst man nicht.“ Julia genießt die Herausforderung, mit einer CNC-Maschine Teile herzustellen. Sie erklärt, dass man gehörig nachdenken muss, bevor die Teilezeichnungen des Kunden programmiert sind und aus dem Rohteil ein Fertigprodukt geworden ist. Sie hat die Programmiersprachen der Haas-Maschinen erlernt und wurde auch an den anderen CNC-Maschinen der Werkstätten vom Waldhaus ausgebildet.

Die Beherrschung dieser Maschinen ist die Voraussetzung für die diesjährige Zwischenprüfung. Sie möchte diese Prüfung gut bestehen, denn sie zählt ganze 40 Prozent für ihre Abschlussprüfung nach dreieinhalb Jahren Ausbildung. Die nächste Herausforderung erwartet Julia während ihres Praktikums: „Jeder träumt von 5-Achsen-Simultan-Fräsmaschinen.“ Sie freut sich auf ihr Praktikum in einem anderen Betrieb. Julia möchte Neues kennen lernen und neue Erfahrungen machen. Sie ist von der CNC-Technologie fasziniert, daher macht sich ihr leitender Ausbilder Klaus Vötsch um Julia überhaupt keine Sorgen: „Mit ihrer positiven Einstellung bin ich mir ganz sicher, dass sie es schaffen wird.“

Trotzdem ist sich Julia bewusst, dass sie immer noch eine Ausnahme ist. Gelegentlich wird es ihr deutlich bewusst, obwohl die Arbeit mit Metall und mit der CNC-Technologie für sie inzwischen zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Doch in ihrer Berufsschule ist sie das einzige Mädchen in einer Klasse von 28 Auszubildenden, von denen viele auch älter als sie sind. Der Fakt, dass sie mit den Jungen gut auskommt, hilft ihr, sich durchzusetzen.

Ihre Freundinnen in ihrer Heimatstadt Stuttgart interessieren sich kaum für ihre Arbeit: „Wir reden fast nie darüber“, meint sie, „aber ich bin mit einer Berufswahl als Maschinenbediener glücklich, auch wenn die Arbeit doch sehr von dem abweicht, was ich zuhause mache, wo ich meinen Sohn großziehe. Natürlich ziehe ich den Geruch des Milchpulvers für mein Baby immer noch dem der Metallspäne vor.“

KONTAKT:

www.HaasCNC.com

Anmerkungen:
HTEC – das Konzept

Die HTEC-Initiative ist eine Partnerschaft zwischen europäischen Bildungseinrichtungen, Haas Automation Europe (HAE), seinen händlereigenen HFOs (Haas Factory Outlets) und einer Allianz von branchenführenden CNC-Technologiepartnern. Das HTEC-Programm wurde im Jahr 2007 von HAE ins Leben gerufen, um begabte und motivierte Auszubildende mit den nötigen CNC-Fertigkeiten für den Berufseinstieg in der Präzisionsfertigung auszustatten. Der Mangel in diesem Bereich ist laut HAE eines der größten Hindernisse für eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung in Europa.

Das Programm stellt Bildungseinrichtungen in Europa CNC-Werkzeugmaschinen von Haas zur Verfügung, damit sich die Auszubildenden in den HTEC-Zentren mit der neuesten CNC-Bearbeitungstechnologie vertraut machen können. Diese praktischen Erfahrungen sichern den Absolventen übertragbare Schlüsselqualifikationen und damit bessere Berufschancen. Auch regionale und überregionale Fertigungsunternehmen profitieren von den HTECs in Form eines größeren Angebots an qualifizierten Berufseinsteigern.

Seit ihrer Gründung hat die HTEC-Initiative in ganz Europa schnell großen Anklang gefunden. Regierungen von Schweden bis Rumänien und von Portugal bis Russland unterstützen das Programm und anerkennen die Notwendigkeit, die Produktionsinfrastruktur auszubauen.

Die HTEC-Industriepartner gehören zu den angesehensten Vertretern der Präzisionsfertigung. Sie unterstützen die HTEC-Ziele nachhaltig durch Investition von Zeit und Ressourcen. Zum Netzwerk der HTEC-Partner gehören derzeit KELLER, MasterCam, Esprit, Renishaw, Sandvik Coromant, Schunk, Blaser, Urma, Chick, Air Turbine Technology, Hainbuch und CIMCOOL.