Veränderungsdruck in der Schleiftechnik

Die GrindingHub, die vom 14.-17. Mai 2024 in Stuttgart stattfindet, zeigt, wie die Branche auf neue Verbundmaterialien und hohe Qualitätsanforderungen reagiert. Aus Sicht von Prof. Bernhard Karpuschewski, dem Direktor der Fertigungstechnik am Bremer IWT (Leibniz-Institut für Werkstofforientierte Technologien), zeichnen sich eine Reihe vielversprechender Entwicklungen ab.

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Mit dem Fokus auf eine werkstofforientierte, produktive und ressourceneffiziente Gestaltung von Prozessketten wird am Leibniz-IWT grundlagen- und anwendungsbezogene Forschung betrieben (Bildnachweis: Leibniz-IWT)

Es sind nicht nur die gravierenden Veränderungen im Automotive-Sektor, die von vielen Unternehmen der Schleifbranche derzeit eine Neuausrichtung fordern. Präzise Oberflächenbearbeitung steht am Ende nahezu jedes Verfahrens der Metallbearbeitung und hat entscheidende Auswirkungen auf Qualität und Funktionalität von Produkten. Entwicklungstrends erreichen so die Hersteller von Schleifmitteln, Schleif- und Abrichtwerkzeugen, die sich verstärkt mit immer neuen Werkstoffen und Materialverbünden konfrontiert sehen und dabei unter steigenden Innovations- und Kostendruck geraten. Es gilt, Optimierungspotenziale entlang der Prozesskette zu nutzen und dabei möglichst auch von neuen Verfahren und Erkenntnissen wissenschaftlicher Forschung zu profitieren.

Da die umfangreichen schleiftechnischen Anwendungen im Antriebsstrang von Verbrennungsmotoren rückläufig sind, werden Ausweichmärkte dringend gesucht, stellt Prof. Bernhard Karpuschewski, Direktor der Fertigungstechnik am Bremer IWT (Leibniz-Institut für Werkstofforientierte Technologien) fest. Der Wissenschaftler ist auch Mitglied der WGP (Wissenschaftliche Gesellschaft für Produktionstechnik), einem Zusammenschluss führender Professorinnen und Professoren der Produktionswissenschaften.

Prof. Bernhard Karpuschewski, Direktor der Fertigungstechnik am Leibniz-IWT (Bildnachweis: Leibniz-IWT)

Gute Perspektiven für additive Fertigung

„Ganz sicher zählt die Feinbearbeitung von Verbundmaterialien zu den expandierenden neuen Einsatzfeldern“, so Karpuschewski. Ebenso sieht der Bremer Wissenschaftler die Nachbearbeitung additiv hergestellter Bauteile als schnell wachsendes Gebiet, zumal auch in absehbarer Zeit keine einbaufertigen Funktionsflächen gedruckt werden könnten. Hier spiele auch die Entwicklung additiv gefertigter Schleifscheibengrundkörper, in die sich beispielsweise komplexe innere Kühlkanäle integrieren lassen, eine zunehmend wichtige Rolle. Das gelte auch für die additive Aufbringung eines Schleifbelags, der sich unter anderem durch Strahlverfahren realisieren lasse. Grundsätzlich sieht Karpuschewski einen steigenden Bedarf an Oberflächen mit höchsten Oberflächengüten, wie etwa das Polierschleifen von Verzahnungen, für die angepasste Schleifscheiben in elastischer Bindung und adaptierte Abrichttechnologien nötig sind.

Trendmesser GrindingHub

Die Veränderungen der Branche sowie die damit verbundenen Auswirkungen auf Produktion und Fertigungstechnologien prägen auch die Diskussionen auf der GrindingHub in Stuttgart. Die Fachmesse der Schleiftechnik, die vom VDW (Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken) veranstaltet wird, gibt einen Überblick über Neuheiten und aktuelle Trends.

Neue Materialien als Innovationstreiber

Die größten technologischen Herausforderungen liegen unter anderem im Umgang mit neuen Materialien, für die in immer kürzer bemessenen Zeiträumen Schleiflösungen gefunden werden müssen: Diese Entwicklung ist auch für Karpuschewski am Bremer IWT ein Thema. „Die Bearbeitung von neuen Werkstoffen und Materialverbünden ist uns aus der geometrisch bestimmten Zerspanung und der Präzisionsbearbeitung von optischen Werkstoffen seit langem bekannt“, stellt er fest. „Aus Sicht der Wissenschaft stellen wir uns diesen Fragen aktiv und arbeiten an einer Vielzahl von technologischen Lösungen.“ Entscheidend sei die Bewertung der Prozesseinflüsse auf die Bauteilqualität in den unterschiedlichen Werkstoffen, für die in Bremen eine umfassende physikalische Analytik vorgehalten werde.

Wissenstransfer durch Forschungsprojekte

Von den guten Perspektiven der additiven Fertigung sind auch die Schleifexperten am ISF (Institut für Spanende Fertigung) der TU Dortmund überzeugt. Dr. Monika Kipp, Abteilungsleiterin Schleiftechnologie, stellt dazu fest, dass die Nutzung in der Schleifbranche inzwischen angekommen sei und neue Perspektiven eröffne.

Am ISF läuft aktuell eine Reihe von Forschungsprojekten zu neuen Fertigungsverfahren und alternativen Werkzeugkonzepten. Zu den Highlights zählt Kipp die Grundlagenuntersuchungen zum Einsatz diamantbelegter Schaumstoffe zur Oberflächenfeinstbearbeitung, die eine zielgerichtete Bearbeitung filigraner Strukturen ermöglichen sollen.

Monika Kipp sieht im engen Schulterschluss zwischen Wissenschaft und Industrie eine große Chance. Durch den ständigen Austausch erhalten sowohl die Wissenschaft als auch Unternehmen Anregungen für neue Themen und Forschungsprojekte, sagt sie. Auf der anderen Seite könnten die Institute durch Grundlagenforschung unterstützen oder durch Verweise auf verwandte Forschungsergebnisse entscheidenden Mehrwert generieren. Kooperationspartnerschaften gebe es am ISF sowohl mit größeren als auch mit kleineren Unternehmen.

Potenziale nutzen beim Thema Nachhaltigkeit

Wie andere Bereiche der industriellen Produktion, trifft das Thema Nachhaltigkeit auch die Schleiftechnologie. Für den Schleifprozess sieht Karpuschewski vor allem zwei Ansatzpunkte: „In Bremen beschäftigen wir uns seit vielen Jahren mit einem bedarfsgerechten Einsatz von Kühlschmierstoffen beim Schleifen, da hier nach wie vor ein enormes Einsparpotenzial schlummert.“ Durch angepasste Zufuhr und Düsenauslegung könne der Energiebedarf bei gleichbleibender Bauteilqualität drastisch reduziert werden, was sich unmittelbar auf die Nachhaltigkeit des Verfahrens auswirke. Vor dem Hintergrund rasant steigender Energiekosten könnten sich zudem beim Recycling von Schleifabfällen neue erfolgversprechende Ansätze auftun.

(Autorin: Cornelia Gewiehs, freie Journalistin, Rotenburg (Wümme))

Kontakt

www.grindinghub.de