„Am Anfang steht der Kundennutzen“

Am Lehrstuhl für Produktionssysteme der Ruhr-Universität beschäftigt man sich seit Jahren mit Dienstleistungen im Maschinenbau. Der Leiter des Lehrstuhls, Professor Dr.-Ing. Horst Meier, sieht im Service noch reichlich Potenzial zur Geschäftsentwicklung für die Hersteller von Werkzeugmaschinen und Präzisionswerkzeuge. Im Interview gibt Professor Meier konkrete Tipps für ein strategisches Vorgehen.

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Herr Professor Meier, welchen Stellenwert hat aus Ihrer Sicht das Servicegeschäft für Hersteller von Werkzeugmaschinen und Werkzeugen?
Der Stellenwert der Dienstleistungen nimmt zu, aber viele machen ihr Geschäft fast ausschließlich im Bereich Ersatzteile und vielleicht noch mit Schulungen. Das heißt, viele innovative Dienstleistungen, die so gern in den Angeboten herausgestellt werden, können nicht in nennenswertem Umfang an den Mann gebracht werden. Nur wenige schaffen das.

Woran liegt das, wird am Bedarf vorbei angeboten?
Nehmen sie das Thema Teleservice. Es gibt kaum ein Unternehmen, dass nicht behauptet, in anzubieten. Aber Teleservice allein ist kein Weg, um ein Geschäft zu entwickeln. Man muss das strategisch aufbauen und erst einmal schauen, wo die Kundenbedürfnisse wirklich liegen und vor allem: wofür er bereit ist zu zahlen. In der Vergangenheit waren solche neuen innovativen Dienstleistungen meist geprägt durch technische Innovationen. Man hat sich aber wenig Gedanken gemacht, wie man daraus tatsächlich ein Geschäft entwickelt. Wir bearbeiten das Thema Teleservice mit Projekten bereits seit 1999. Man hat sich in der Vergangenheit zu sehr von der Technik überzeugen lassen. Es gibt aber tatsächlich nur wenige Unternehmen, die es beherrschen, mit Teleservice auch ein interessantes Geschäft zu entwickeln. Dazu gehört, den Kunden mit diesem Angebot zu begeistern, es transparent für ihn zu halten, deutlich zu machen, welchen Nutzen er davon hat. Generell muss eine Dienstleistung eine gewisse Sichtbarkeit haben. Bei vielen krankt es daran, dass nur eine IT-Infrastruktur aufgebaut wird, aber die Organisation vom Vertrieb bis zur Erbringung vergessen wird. Taucht dann plötzlich ein Fall auf, wird irgendwie improvisiert.

Worauf kommt es denn besonders an, um beim Kunden zu reussieren?
Wenn man als Externer eine Dienstleistung für einen Kunden anbietet, ist die Reaktionszeit ganz wichtig. Dauert das zu lang, kann der Kunde auch seine eigene Instandhaltung aufbauen. Als Externer muss man in der Lage sein, dies besser hinzukriegen, das ist die Messlatte. Außerdem entscheidend: Die Kosten müssen wettbewerbsfähig sein. Also muss ich in der Lage sein, die Kosten meines Kunden abschätzen zu können. Das ist natürlich sehr schwer, aber ich muss meinen Kunden überzeugen können, dass mein Angebot wirtschaftlich ist, und ich ihm die Sicherheit für kurze Reaktionszeiten geben kann.

Wenn das so schwer ist, wäre es ein Weg, Verfügbarkeiten zu garantieren?
Das ist ein Thema, das wir seit vielen Jahren in den Vordergrund zu stellen versuchen. Der Kunde will keinen Service einkaufen, auch nicht unbedingt eine bestimmte Maschine, der braucht ein Produktionsmittel, das verfügbar ist. Man kann sich entsprechende Geschäftsmodelle und Erlösmodelle überlegen, um das bezahlt zu bekommen. Dazu gehört auch die organisatorische Verfügbarkeit. Was nützt es zum Beispiel, wenn die Maschine funktioniert, aber die Werkzeuge fehlen? Da gibt es mittlerweile eine Reihe von Lösungen auf dem Markt. Man muss also schauen, was macht der Kunde, welche Probleme können beim Betrieb der Maschine auftreten und dazu dann das genau passende Angebot platzieren.

Stichwort Werkzeuge, welche Anforderungen müssen sich deren Hersteller stellen?
Wir stellen fest, dass es bislang kaum Werkzeugmaschinenhersteller gibt, die das Thema Werkzeugversorgung auf ihrer Agenda haben. Die verkaufen nur Maschinen. Es gibt aber Firmen wie Gühring oder Wohlschläger, die sich viele Gedanken machen, wie man Werkzeuge an der Maschine verfügbar halten kann. Dazu muss man wissen, dass die Werkzeugkosten heute fast untergeordnet gegenüber den Kosten für die Bereitstellung und das ganze Bestellwesen sind. Wenn man dem Kunden also vermitteln kann, dass man ihm ein Paket „Verfügbare Werkzeuge“ bietet, dann ist das ein anderes Angebot als wenn man sagt: „Ich verkaufe Dir ein Werkzeug plus einen Nachschärfservice.“

Gerade kleinere Unternehmen bekommen spätestens dann Probleme, wenn sie globalisieren?
Genau zu diesem Thema haben wir gerade ein großes BMBF-Projekt gestartet, dessen Ziel die Entwicklung entsprechender Geschäftsmodelle ist. Um zum Beispiel einen Service in China anzubieten, braucht man Kooperationspartner. Davor scheuen aber viele aus Angst vor Know-how-Abfluss zurück. Dort den richtigen Partner zu finden, der an Ort und Stelle Service leisten kann, ist entscheidend. Eine Voraussetzung ist, den Service zu industrialisieren. Das bedeutet, man muss modularisieren, die Leistung muss beschrieben sein, man muss sie durch die Wiederholung der gleichen Leistung immer effizienter machen können. Dann kann man auch über Kooperationen nachdenken und für Servicemodule, die vielleicht nicht direkt Kernbereiche betreffen, Serviceprovider suchen. In den Bereichen, die ich nicht nach draußen geben kann, muss ich mir Gedanken machen, wie ich diesen Service durch entsprechenden Technikeinsatz von vorneherein verhindere oder wie ich den Bedarf durch Condition Monitoring rechtzeitig erfahre, um die Verfügbarkeit sicher zu stellen. Dafür muss dann eben jemand aus Deutschland kommen, das ist aber planbar.

Es wird viel über Betreibermodelle geredet, wie sieht die Realität aus?
Die zentrale Frage ist die Finanzierung. Das gehört nicht in die Bilanz des Werkzeugma-schinenherstellers, sondern man braucht einen Leasingpartner. Wir haben bereits vor einigen Jahren bei einem Projekt im Bereich Automobilindustrie nachgewiesen, dass man durchaus eine Win-Win-Situation erreichen kann. Die meisten Hersteller sind dem Thema gegenüber sehr reserviert. Die Frage ist aber, ob sich daraus nicht ein Geschäft entwickeln ließe. Das wäre ja auch eine Art Verfügbarkeitsmodell, jedenfalls nach unserem Modell. Wir sagen, als Betreiber biete ich Dir eine Verfügbarkeit der Maschine an, oder ich betreibe die Maschine sogar komplett mit Personal. Dafür muss man alle Dienstleistungen beherrschen, also nicht nur Ersatzteillieferungen, sondern Optimierungen, Trouble Shooting. Man muss die Kompetenz entwickeln, diese Dienstleistungen unter den Aspekten Verfügbarkeit und Kosten vernünftig darzustellen. Erst dann kann ein Betreibermodell zur Verfügbarkeit funktionieren.

Wie weit ist die Entwicklung bei Teleservice und Condition Monitoring Dienstleistungen planbarer und berechenbarer zu machen?
Ein großer Hemmschuh, der viele Investitionen in diesem Bereich blockiert, ist das Fehlen von Standards. Der VDMA bringt das jetzt mit einem ersten Einheitsblatt auf den Weg. Darüber hinaus gibt es viele tolle Themen, die man machen könnte, wie Virtual oder Augmented Reality. Das finde ich derzeit aber überzogen. Jetzt geht es erst einmal darum, ein Geschäft zu entwickeln, denn was nützen mir die tollsten Servicetechniken, wenn dahinter kein Geschäftsinhalt steht? Erst wenn es einen Standard gibt und alle Investitionssicherheit haben, dann wird auch in Technologien investiert und ein Verfügbarkeitsmanagement aufgebaut. Wichtig ist auch, die richtige Prognose hinzubekommen, denn es ist gar nicht so einfach zusagen, wie lang denn nun die Restlebenszeit eines Bauteils tatsächlich noch ist. Das ist ein Riesenfeld, da brauchen wir noch mehr Erkenntnisse.

Welche Organisationsformen empfehlen Sie für den Servicebereich?
Für viele Unternehmen ist es sinnvoll, den Service in einer eigenen Geschäftseinheit zu führen. Oft stehen nämlich große Teile eines Unternehmens auf dem Standpunkt, lieber die Maschinen so zu konstruieren, dass sie nicht ausfallen. Das ist aber illusorisch, weil es viel zu teuer würde. Deshalb braucht man eine eigene Serviceabteilung mit eigener Budget-verantwortung, die selbst Geld verdienen muss. Das Problem ist allerdings gerade im Werkzeugmaschinenbereich, dass eine intensive Wechselwirkung zwischen Dienst– und Sachleistung besteht. Man muss also beides im Auge behalten, wenn man die Frage stellt, was man an Dienstleistungen anbieten kann, wenn bestimmte technologische Voraussetzungen an der Maschine erfüllt sind. Die Wechselwirkung als Innovationstreiber muss erhalten werden.

Ihr Fazit?
Am Anfang muss immer der Kundennutzen stehen. Wenn man den Kunden nicht überzeugen kann, nutzt die beste Leistung nichts. Hat man den Kundennutzen, geht es darum, Dienstleistungen nicht handwerklich, sozusagen spontan, zu erbringen sondern sich im Vorfeld Gedanken zu machen, wie die Prozesse laufen müssen. Auch in der Dienstleis-tung müssen jährliche Rationalisierungserfolge erzielt werden, beispielsweise durch Teleservice oder Condition Monitoring. Modularisierung ist wichtig, kontinuierliche Verbesserung und Standards ebenso, um weltweit Module vermarkten zu können.

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