Automationslösungen mit Geschichte

Vor 22 Jahren begann Hermle, eigene Automationslösungen für seine 5-Achs-Bearbeitungszentren zu entwickeln. Seitdem hat sich einiges geändert, doch die Philosophie von Hermle bleibt bestehen.

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Ermöglicht autonome Laufzeit: Der Matrizenspeicher mit fünf Teleskopschubladen in Kombination mit dem kompakten und modularen Robotersystem RS 05-2.

1998 stellte Dietmar Hermle, heute Vorsitzender des Aufsichtsrats der Maschinenfabrik Berthold Hermle AG, die Weichen für das vielfältige Automationsprogramm der 5-Achs-Bearbeitungszentren aus Gosheim: Er forderte eine eigene Lösung, mit der Hermle seine Kunden von der Erstauslegung bis hin zur Servicedienstleistung über die Gewährleistungszeit hinaus komplett betreuen kann.

„Alles aus einer Hand, ohne fremde Schnittstellen“, erinnert sich Gerd Schorpp an die Ansage des damaligen Vorstandsvorsitzenden. Der Geschäftsführer der HLS Hermle Systemtechnik GmbH baute unter diesen Vorgaben ein Tochterunternehmen auf, das neben Individuallösungen integrierte Roboteranlagen für die vollautomatische Teilefertigung konzipiert und baut. Und das mit Erfolg: „Gestartet sind wir mit sechs Mitarbeitern, heute sind es beinahe hundert“, erwähnt der Geschäftsführer.

Der Palettenwechsler PW 3000, hier in Kombination mit dem 5-Achs-Bearbeitungszentren der High-Performance-Line C 62 U, bewegt bis zu drei Tonnen schwere Werkstücke.

Das Ziel war es anfangs, Rüstzeit zu sparen. „Um hauptzeitparalleles Rüsten zu ermöglichen, entwickelten wir bei Hermle den ersten Palettenwechsler“, sagt Schorpp. Während ein Werkstück bearbeitet wird, kann der Anwender ein weiteres vorbereiten und aufspannen. Sobald die Maschine fertig ist, tauscht das System die Paletten aus. Die Maschine ist innerhalb kurzer Zeit bereit für den nächsten Bearbeitungszyklus.

„Das Prinzip kam gut an und wir gingen einen Schritt weiter. Was mit einer Palette funktioniert, geht auch mit mehreren. Dazu ergänzten wir unsere Wechsler um Speichermodule“, erzählt Gerd Schorpp. Statt zwei konnten nun bis zu 18 Paletten nacheinander abgearbeitet werden, was die Laufzeiten der Präzisionsmaschinen deutlich verlängerte.

Einstieg in die Königsklasse

Hermle fokussiert sich mit dem Wechsler auf eine maximal flexible Automation. „Es kommt uns nicht auf die Sekunde, sondern auf die Flexibilität an“, erläutert Schorpp. Um jedoch noch produktiver zu arbeiten, brauchte es ein anderes Prinzip: Vor 15 Jahren stieg Herme mit einem ersten Robotersystem in die Königsklasse der Automation ein. „Wichtig war uns schon damals die systemische Neutralität, die wir bei den Palettenwechslern nicht hatten. Das bedeutet, dass die Roboteranalagen an fast jede Hermle-Maschine passen“, erklärt der HLS-Geschäftsführer.

Das Robotersystem RS2 kann je nach Anwendungsfall mit unterschiedlichsten Speichermodulen ausgestattet werden. Unter anderem mit Einfachmatrizen, einem Palettenspeicher oder auch mit einem Kanban-System.

Kommt eine Roboteranalage zum Einsatz, kreiert sie autonome Laufzeit. Denn im Gegensatz zum einfachen Palettenwechsler kann der Roboter neben dem Paletten- auch das Teile- und Werkzeughandling übernehmen. „Und hier liegt unser Know-how, durch das wir uns von anderen Marktbegleitern frühzeitig abgehoben haben“, verrät Gerd Schorpp. Damit wurde der Palettenwechsler jedoch nicht überflüssig. „Gerade für große, schwere Werkstücke ist er bis dato alternativlos.“ Während die flinken und vielseitigen Roboter bis zu 420 Kilogramm bewegen können, trägt der Palettenwechsler PW 3000 bis zu drei Tonnen – er ist speziell für die Hermle-Maschinenbaureihen C 52 U und C 62 U ausgelegt.

Das Programm an Palettenwechslern wuchs parallel zu den Produktlinien – sobald eine neue Maschine auf den Markt kam, wurde auch der passende Wechsler entwickelt. Für die ersten Jahre war das eine logische Herangehensweise. Doch es kam der Zeitpunkt, zu dem das Maschinenprogramm weitestgehend stand, und der Wettbewerb stieg. Drittanbieter für Automationslösungen drängten auf den Markt. „Auch wenn diese nicht das bieten können, wofür wir stehen – Komplettlösungen und Service aus einer Hand –, so wuchs doch der Kostendruck“, erklärt Schorpp.

Reif für ein neues Konzept

Um seinen Kunden einen wirtschaftlichen Einstieg in die Automation zu ermöglichen, suchte Hermle eine Lösung, die an mehrere Maschinen passt, um sie effizient in Serie produzieren zu können. Zudem sollte sie Platz für noch mehr Paletten bieten und intuitiv zu bedienen sein. Darüber hinaus durfte die Zugänglichkeit zum Bearbeitungszentrum nicht einschränkt werden, damit der Anwender die Anlage auch manuell bedienen kann.

Mit dem HS flex-System ermöglicht Hermle seinen Kunden den wirtschaftlichen Einstieg in die Automation.

„Das ist wichtig, um Rohlinge bearbeiten zu können, die zu schwer für das Handhabungssystem sind. Denn das limitierende Element beim Bauteilgewicht ist immer die Automation, nicht unsere Maschine“, betont Schorpp. Die Antwort feierte 2017 Premiere: das HS flex-System.

Das flexible Handlingsystem passt an sechs Maschinentypen und ist daher im Gegensatz zu den herkömmlichen Palettenwechslern wirtschaftlicher zu fertigen. Bis zu zwei Speichermodule in Regalbauweise bieten Platz für maximal 40 Paletten. Die HS flex-Automation wird frontseitig an das jeweilige Bearbeitungszentrum adaptiert – das ist bedingt durch die Gantry-Bauweise. Teilweise stoße dies vorerst auf Skepsis: „Einige Anwender hatten im Vorfeld befürchtet, dass die Zugänglichkeit zum Arbeitsraum für manuelle Tätigkeiten zu sehr eingeschränkt wird. Doch der Zwischenraum ist großzügig gestaltet und der Praxistest hat bis jetzt alle überzeugt.“

Eine Flügeltür verschließt im Einricht- und Automatikbetrieb den Zugang für den Mitarbeiter. Für die intuitive Bedienung und Steuerung programmierte Hermle das Hermle Automation-Control-System (HACS). Die Software berechnet Laufzeiten und Werkzeugeinsätze voraus und bietet einen Überblick über das System, Arbeitspläne, Paletten, Aufgaben, Werkzeuge und mehr. „Wir haben das HACS so konzipiert, dass es organisatorische Stillstände reduziert“, ergänzt Schorpp.

Mit der Entwicklung des HS flex heavy ermöglicht Hermle erstmals die Automatisierung der C 650.

Jüngstes Mitglied des Automatisierungsangebots ist das Handlingsystem HS flex heavy. Das 2020 vorgestellte System ist für Bauteilgewichte von bis zu 1.200 Kilogramm ausgelegt und ermöglicht die Automatisierung von vier Hermle Maschinenmodelle, erstmalig auch die der C 650. Auch wenn die Palettenwechsler noch höhere Gewichte handhaben können, entsprechen sie nicht mehr ganz der aktuellen Philosophie.

„Beim Palettenwechsler ging es hauptsächlich ums hauptzeitparallele Rüsten. Der Faktor Produktivität ist jedoch in den vergangenen Jahren immer wichtiger geworden. Ziel ist es daher, autonome Laufzeiten zu kreieren, abgekoppelt vom Personal. Und das schaffen wir nur mit flexiblen Systemen, die genügen Speicherkapazität bieten“, führt Gerd Schorpp aus.

Die Frage, ob ein HS flex-System oder eine Roboteranlage sinnvoller ist, hängt vom Anwendungsfall ab. Denn ein Roboter kann mehrere Bearbeitungszentren bedienen und ermöglicht damit eine Verkettung von Anlagen. „In Kombination mit entsprechenden Matrizenspeichern und Palettenmagazinen schaffen wir mit solch einem System deutlich mehr Kapazität. „Zudem erreichen die Handlingsysteme und Roboteranlagen Maschinenlaufzeiten zwischen 5.000 und 7.000 Stunden pro Jahr. Beim Robotersystem aber mit deutlich weniger Personaleinsatz“, rechnet Schorpp vor.

Individuell und höchst flexibel

Das Robotersystem RS 3 automatisiert die C 32 U und handhabt bis zu 420 Kilogramm schwere Werkstücke.

Das Roboter-Programm der HLS Systemtechnik reicht mittlerweile vom Robotersystem für kleine Paletten und Bauteile (RS 05-2) bis zum RS 3-System mit einem Transportgewicht bis zu 420 Kilogramm. Dank wechselbarer Greifer können die Roboter sowohl Paletten als auch Werkstücke und Rohlinge, bevorratet in Matrizen, handhaben.

„Unsere Kunden erhöhen ihre Fertigungstiefe und steigern ihre Kapazität, ohne Personal aufbauen zu müssen – in Zeiten des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels durchaus triftige Argumente, die durch die derzeitige Corona-Krise nochmals geschärft werden“, verdeutlicht Schorpp.

Die Anlagen sind individuell auf die Kunden zugeschnitten und werden über das Steuerungstool Soflex bedient. „Soll ein Roboter mehr als drei Maschinen versorgen, setzen wir eine Linearachse ein. Sie schafft genügen Bewegungsfreiheit, um auch Messmaschinen und Reinigungsanlagen in die Automation zu integrieren.“

Linear verkettet: Ein Roboter bedient mehrere 5-Achs-Bearbeitungszentren und sorgt so für eine hohe Produktivität und Flexibilität.

Die Zukunft geht zu mehr Flexibilität und Autonomie im Werkstück- und Werkzeughandling. Die Automation hört nicht mehr am Rüstplatz auf, sondern verlässt die Grenze des eigentlichen Bearbeitungsprozesses: Fahrerlose Transportsysteme (FTS) liefern Werkstücke oder Werkzeuge autonom zu, Roboter übernehmen das Bestücken der Paletten und liefern am Ende das fertige Bauteil ab. „Die Vernetzung und Digitalisierung spielt hierbei eine wichtige Rolle“, betont Schorpp.

„Über das ERP-System erhält die Robotersteuerung die Informationen zu Aufträgen und Terminen. Während unsere Software für die Anlagensteuerung die Aufgaben auf die einzelnen Maschinen verteilt und Rohmaterial anfordert, sorgt das Flottenmanagement dafür, dass die FTS die Materialien rechtzeitig anliefern. Es sind also einige Ebenen, die miteinander verknüpft werden müssen“, erläutert der Geschäftsführer.

Den ersten Schritt in Richtung Zukunft ist Hermle bereits gegangen: Bei einem Hersteller verknüpft der Gosheimer Maschinenbauer seine Roboteranlage mit den fahrerlosen Transportsystemen. Diese sorgen für eine automatisierte Werkstück- sowie Werkzeugbereitstellung – Just in Time.

Kontakt:

www.hermle.de