Potenziale der Digitalisierung

Das Wort 'Digitalisierung' ist spätestens seit der Corona-Krise in aller Munde. Die Industrie beschäftigt sich schon seit längerem damit, denn sie weiß welche Potenziale in ihr stecken.

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In der TRUMPF Lehrwerkstatt lernen Auszubildende, wie digitale Lösungen die Fertigung verbessern.

Mitten in der Corona-Krise, zwischen Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen, macht plötzlich wieder ein Schlagwort die Runde, das Industrie und Wirtschaft schon länger wie ein Allheilmittel vorkommt: Digitalisierung. Den Virologen auf der Suche nach Antworten auf Dauer und Ausprägung der Epidemie sollen anonymisierte Schwarmdaten von Handy-Nutzern Hinweise auf das Verhalten der Bevölkerung geben und so die Vorhersagen verbessern.

Längst bekannte digitale Werkzeuge zur Kommunikation und Fern-Visualisierung steigen angesichts der Notwendigkeit von Isolation und körperlichem Abstand sprunghaft in Stellenwert und Nutzung quer durch alle Wirtschaftsbereiche. Politiker, Ärzte und Industrie-Vorstandsetagen tagen in Video-Konferenzen, Schulen verlagern ihren Unterricht in Bewegtbild-Clips und Fernwartungstools erlangen den Status einer „systemkritischen“ Komponente.

Die Industrie weiß seit langem, welches Potenzial in der Digitalisierung steckt. Die Hoffnungen und Ziele sind vielfältig, sei es die schnellere Entwicklung flexiblerer Maschinen, mehr Zuverlässigkeit und reibungslose (Fern-)Wartung, eine bessere Dokumentation, ein höherer Automatisierungsgrad, Lerneffekte durch Vergleichbarkeit im Schwarm und Selbstlernfähigkeit – die Liste der Möglichkeiten ist endlos.

Nicht Wenige wünschten sich angesichts der derzeitigen Herausforderungen, man wäre bei der Digitalisierung und dem Ausbau der notwendigen Netze, wie dem neuen Mobilfunkstandard 5G, schon deutlich weiter: „Industrial 5G öffnet die Tür zur umfassenden drahtlosen Vernetzung von Produktion, Instandhaltung und Logistik. Hohe Datenraten, ultrazuverlässige Übertragung und ultrakurze Latenzzeiten werden eine erhebliche Effizienzsteigerung und Flexibilisierung in der industriellen Wertschöpfung ermöglichen“, sagt Eckard Eberle, CEO der Siemens Business Unit Process Automation.

Er verantwortet das Siemens-5G-Testcenter. Zwar ist hier (noch) keine Werkzeugmaschine zu sehen, doch der Weg für die drahtlose Vernetzung der Fabrik der Zukunft ist klar vorgezeichnet. Siemens testet bereits seit einigen Monaten in Nürnberg mit Logistik-Komponenten in einer realen industriellen Umgebung das 3,7 – 3,8 GHz-Frequenzband beispielsweise mit Simatic-Steuerungen und IO-Devices.

Und auch ohne 5G sind bereits spannende Anwendungen für digitale Unterstützung bei den Automatisierern zu sehen: Um beispielsweise Fehlerquellen bei Qualitätsproblemen mit Freiformwerkstücken zu ermitteln, setzt Siemens auf eine Software, die sich alle neuralgischen Punkte der Prozesskette vornimmt und die Stationen zwischen CAD-System und den verwendeten Werkzeugen prüft. Denn die Fehlerquellen können vielfältig sein: die Ausgabe des CAD-Systems selbst, der Output des CAM-Systems bzw. des Postprozessors, die Parametrierung der CNC und der Antriebsregler, die Mechanik der Maschine, die Werkzeuge, das Kühlmittel, theoretisch sogar das Material des Werkstücks.

Das Programm Analyze MyWorkpiece/Toolpath prüft die Ausgabedaten der einzelnen Systemteile, wie die STL-Datei des CAD-Systems, die MPF-Datei aus dem CAM-System bzw. dem Postprozessor, die Aufzeichnung der Lagesollwerte und schließlich, wie der Antriebsregler und die Maschinenmechanik sowie das Werkzeug die Daten umgesetzt haben. So kann eine Qualitätssicherung von CAD/CAM-Daten beispielsweiser großformatiger Werkstücke bereits vor der Fertigung geschehen.

Edge-Computing in der Nähe der Maschine kommt unauffällig daher, wie dieses Edge-Device von Siemens.

Auch auf der AMB 2020 werden diese nah an der Werkzeugmaschine stattfindenden Optimierungssysteme eine wichtige Rolle spielen. Der Renner in Stuttgart dürften sogenannte Edge-Lösungen sein. Sie bieten zusätzliche Rechenleistung für die digitale Fertigungsunterstützung und nutzen in vielen Fällen Algorithmen, die auf künstlicher Intelligenz basieren, um den Maschinenbediener in seiner Arbeit zu unterstützen.

Im September wird es darum gehen, praktikable Wege aus der Krise zu finden sowie Umsatzwachstum und Kostenersparnis, insbesondere durch eine erhöhte Produktivität und eine Effizienzsteigerung von Anlagen und Maschinen, für die Zeit vorzubereiten, in denen die Auftragsbücher wieder gefüllt sind.

Zwischen Chance und Herausforderung

Mit neuen Lösungen wie Edge-Computing bietet die Digitalisierung in den heterogenen Produktionsumgebungen in der Metallbearbeitung vielfältige Chancen. Doch es bleiben ebenso zahlreiche Herausforderungen. Um die Digitalisierung auf breiter Linie nutzbar zu machen, braucht es Standards, ist Markus Horn, Geschäftsführer der Paul Horn GmbH, überzeugt: „Der VDMA treibt das Thema im Rahmen von GTDE voran. Das begrüße ich sehr und wir als Unternehmen tragen unseren Teil zu diesem Thema bei, indem wir die entsprechenden Daten zur Verfügung stellen“, sagt er.

GTDE ist die Abkürzung für den Verein Graphical Tool Data Exchange-Standard Open Base e.V. und agiert als Kompetenzzentrum, Interessenvertreter und Dienstleister im Bereich des Werkzeugdatenaustauschs. Mitglieder und Partner des Vereins sind namhafte Werkzeughersteller und -anwender, Softwareunternehmen und der VDMA-Fachverband Präzisionswerkzeuge. Ziel ist es, den Werkzeugdatenaustausch durch international anerkannte Standards zukunftsorientiert zu gestalten sowie die betroffenen Unternehmen auf diesem Gebiet zu unterstützen.

Markus Horn, Geschäftsführer der Paul Horn GmbH.

Die Umsetzung für den Werkzeugdatenaustausch und damit die vereinheitlichte Bereitstellung von Werkzeugdaten unterstützt der Verein durch den Betrieb eines eigenen Servers, über den teilnehmenden Hersteller Werkzeugdaten, wie Werkzeugsachmerkmale, 2D- und 3D-Grafiken nach DIN und ISO prüfen lassen und kostenfrei zur Verfügung stellen können.

Doch Horn stellt auch klar: „Das Geld wird an der Schneide verdient. Digital ergänzt, aber nicht ersetzt. Für uns als Werkzeughersteller heißt das: Wenn das Werkzeug nicht die Qualität und die Präzision bietet, die benötigt wird, hilft auch die Digitalisierung nichts“, gibt er zu bedenken. Aktuell gebe es sehr viele Akteure auf dem Markt, die digitale Services anböten: Softwarehersteller, Maschinenhersteller oder Werkzeughersteller. Ohne Standards seien diese für den Kunden jedoch meist aufwändig zu implementieren und zudem unflexibel im Einsatz.

„Digitale Zusatzprodukte oder Services sollten nur dort zum Einsatz kommen, wo durch sie auch tatsächlich ein Nutzen entsteht. Wir haben auch künftig unser Augenmerk auf dem Werkzeug selbst, stellen die entsprechenden Daten zur Verfügung und bieten digitale Lösungen für die Einsatzfälle an, wo sie auch zum Tragen kommen“, sagt Horn. Da die AMB auch in diesem Jahr wieder die komplette Prozesskette der Metallbearbeitung abdecken wird, wird sich den Besuchern ein breites Bild von klassischer Technik in Kombination mit digitalem Zusatznutzen bieten.

Sensitive Sensoren

Der Piezo-Sensor gibt Aufschluss über den Zustand des Werkzeuges während der Bearbeitung und misst selbst niedrigste Zerspankräfte mit hoher Auflösung.

Ein wichtiges Ziel, bei dem digitale Lösungen unterstützen können, ist es Ausschuss zu minimieren. So ist die Paul Horn GmbH gemeinsam mit der Kistler-Gruppe Problemen bei der Zerspanung in Form von fehlerhaften Materialien, abgenutzten Schneidstoffen oder einem Werkzeugbruch auf der Spur.

Die Experten für dynamische Messtechnik erfassen Druck, Kraft, Drehmoment und Beschleunigung und haben in enger Zusammenarbeit mit den Ingenieuren von Horn eine Lösung zur Echtzeit-Werkzeugüberwachung von Mikro-Drehbearbeitungen entwickelt. Das Piezo Tool System (PTS) besteht aus einem Kraftsensor, der in das Drehwerkzeug eingelegt wird und Aufschluss über den Zustand des Werkzeuges während der Bearbeitung gibt. Der extrem kleine Piezo-Sensor misst selbst niedrigste Zerspankräfte mit hoher Auflösung.

Das System eignet sich für den Einsatz bei Drehbearbeitungen, speziell im Mikrobereich. Hier sind alternative Messmethoden, wie die Überwachung der Antriebsleistung des Hauptspindelmotors, aufgrund der geringen Abweichungen wenig ergiebig. Auch eine Messung des Körperschalls liefert bei kleinen Werkstücken keine konstant zufriedenstellenden Ergebnisse.

Ein visuelles Überwachen scheidet aufgrund des Einsatzes von Kühlschmierstoffen sowie den hohen Rotationsdrehzahlen beim Bearbeitungsprozess ebenfalls aus. Die neue Lösung erfordert keinen Eingriff in die CNC-Steuerung und der Einsatz erfolgt maschinenunabhängig. In der Folge reduziert das PTS Produktionskosten und steigert die Fertigungskapazitäten.

Kurze Wege zum Kunden

Kostenbewusstsein und Effizienz beschäftigen auch die Maschinenhersteller. „Die Notwendigkeit digitaler Produkte geht einher mit der starken Fokussierung unserer Kunden auf effiziente Prozesse. Dabei helfen digital basierte Lösungen unter anderem dabei, die Organisationstruktur unserer Kunden zu verbessern. Kürzere Fehlerbehebungszeiten sind dabei genauso ein Thema wie eine höhere Verfügbarkeit der Maschine“, sagt der Geschäftsführer von Burkhardt und Weber, Olaf Furtmeier.

Der Vorteil eines Mittelständlers sei es, kurze Wege zu haben, Entwicklungsprojekte in agilen Teams anzugehen, um möglichst viele Perspektiven in den Entwicklungsprozess einzubringen. „Allerdings ist es unerlässlich sich Hilfe durch qualifizierte Partner zu suchen. Nur so können wir gewährleisten, dass voll umfassendes Know-How in Produkte eingebracht wird, um ein Endprodukt zu erzeugen, das tatsächlich einen Mehrwert bietet und somit auch von unseren Kunden gekauft wird“, fokussiert Furtmeier.

Die reibungslose Kommunikation zwischen den einzelnen Produktionselementen ist auch bei Zoller Grundlage der Digitalisierung und Industrie 4.0, wenn es um das Einstellen, Messen und Verwalten von Werkzeugen geht. Speziell für den Datenübertragungsweg vom Einstellgerät an die Maschine gibt es heute viele prozesssichere und schnelle Wege. Werkzeug-Ist-Daten werden steuerungsgerecht für die jeweilige Maschinensteuerung aufbereitet und vom Einstell- und Messgerät direkt an die CNC-Steuerung übertragen.

Die Software wandelt die ermittelten Messwerte maschinenspezifisch in ein steuerungsgerechtes Format um und gibt sie aus. Eine Bibliothek von über 230 Standard-Ausgabeformate für unterschiedlichste Maschinen ist in der Software enthalten. Die AMB 2020 ist auch für diese Fragstellungen die richtige Plattform und für Gespräche über mögliche Modifikationen an spezielle Kundenanforderungen, die bei Zoller jederzeit möglich sind, wie es heißt.

Wissenstransfer und Ausbildung

Der Grund dafür, dass sich die Digitalisierung im Vergleich zu anderen Branchen relativ spät im Werkzeugmaschinenbau und in der Metallbearbeitung durchgesetzt hat, liegt nicht nur an den Kosten oder dem Aufwand der Umsetzung, sondern erfordert von den Mitarbeitern auf breiter Front neue Denkmuster und -ansätze.

Wie wichtig das Thema Wissenstransfer und Bildung ist, um die Digitalisierung von Grund auf in Angriff zu nehmen, hat AMB-Aussteller Trumpf bereits mit dem Start des derzeitigen Ausbildungsjahres gezeigt: Um dem digitalen Wandel gerecht zu werden, setzt Trumpf auf Vernetzung und qualifiziert seinen Nachwuchs erstmals durch einen „Ausbilder Industrie 4.0“. Das Programm koordiniert alle digitalen Inhalte der verschiedenen Ausbildungsrichtungen und betreut die Auszubildenden und dual Studierenden.

Katja Tiltscher, Ausbildungsleiterin bei TRUMPF

„Die Digitalisierung wird bei uns zum fundamentalen Baustein der Ausbildung. Wer IT studiert oder in dem Bereich eine Ausbildung absolviert, muss verstehen, was der Maschinenbauer macht. Gleichzeitig muss der Maschinenbauer wissen, welche Software er für seine Maschine braucht. Das wächst zusammen, auch mit der BWL, die beispielsweise für die Maschinenkalkulation Blechteile und Software einbeziehen muss“, sagt Katja Tiltscher, Ausbildungsleiterin bei Trumpf.

Dazu passt ein neuer Baustein im Rahmenprogramm der AMB 2020, die Trend-Lounge, die den Besuchern ein kostenfreies Forum für den Wissenstransfer und den Austausch mit Experten bietet. An fünf Forumstagen werden verschiedene Fokus-Themen, wie Additive Fertigung, Leichtbau und natürlich Digitalisierung, auf dem Programm stehen.

Kontakt:

www.amb-messe.de