Why-Notter statt Yes-Butter

Begeisternde Tooling Days im steirischen Kapfenberg

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“Wen wir brauchen sind nicht die sogenannten Yes-Butter. sondern die Why-Notter“, rief Professor Wilfried Sihn, quasi als Essenz seines Vortrages zum Thema Industrie 4.0, dem begeisterten Fachpublikum der Tooling Days in Kapfenberg zu. Zum wiederholten Mal boten exzellente Vorträge einen spannenden Mix aus aktueller Forschungsarbeit und Erfahrungen im Bereich der Werkstoff- und Zerspanungstechnologie. Veranstalter des 2-tägigen Symposiums am 26. und 27. Juni 2014 waren die regionale Wirtschafts- und Entwicklungsagentur AREA m styria im Verbund mit den ortsansässigen Unternehmen BÖHLERIT, Boehler Edelstahl, OERLIKON BALZERS sowie der TCM Group aus der Weststeiermark.

Begeistertes Fachpublikum der zweiten Tooling Days im Audimax der FH Kapfenberg.
„Industriepolitik muss wieder fester Bestandteil jeder Wirtschaftspolitik werden“, forderte Dr. Claus J. Raidl, Präsident der Österreichischen Nationalbank in seiner Auftaktrede.
Lothar Horn, Geschäftsführer der Paul Horn GmbH und Vorsitzender des VDMA Fachverbandes Präzisionswerkzeuge

Dass Kapfenberg wieder mit großem Erfolg als Bühne innovativer Ideen gewählt wurde, um eine hochkarätige Fachtagung zum Thema Werkstoff- und Zerspanungstechnologie durchzuführen, hat gute Gründe: Schließlich ist Kapfenberg eine der modernsten und innovativsten Industriestädte Österreichs. Die High-Tech-Betriebe in der Region zwischen Leoben und Mürzzuschlag bieten mit ihren Fachkräften Toptechnologie. Vor allem in Bereichen der Werkstofferzeugung, -veredelung und -verarbeitung attestierte auch Dr. Claus J. Raidl, Präsident der Österreichischen Nationalbank weltmarktführende Stellung. In der Obersteiermark ist es gelungen, durch Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen und durch eine Dezentralisierung mit den gleichen Menschen, eine Industrieregion mit Nischenprodukten hoch zu bringen, betonte der gebürtige Kapfenberger in seinem einleitenden Vortrag. „Industriepolitik muss wieder fester Bestandteil jeder Wirtschaftspolitik werden“, folgerte Raidl. Auf die generellen Rahmenbedingungen für eine gelingende Industriepolitik näher eingehend, stellte der erfahrene Wirtschaftswissenschaftler auch die Forderung, darin eine verlässliche Energie- und Klimapolitik einzubinden, aber auch das Bildungssystem in Richtung differenzierter Gesamtschulen weiter zu entwickeln.

Die gesellschaftlichen Entwicklungen als Treiber der Zerspanungstechnologie machte Lothar Horn, Geschäftsführer der Paul Horn GmbH und Vorsitzender des VDMA Fachverbandes Präzisionswerkzeuge, zu einem weiteren Einstiegsthema der zweiten Tooling Days. „Die Gesellschaft steht im Wechselspiel mit der Technik“, so Horn, „denn sie formuliert Wünsche, welche durch die Politik in Vorgaben umgesetzt und durch technische Innovationen realisiert werden“. Dies tangiere auch die Werkzeugentwicklung, die künftig unter einem ganzheitlichen Ansatz, nach Qualität und Leistungsfähigkeit, Zeit und Flexibilität sowie Kosten und Wirtschaftlichkeit zu sehen ist.

Nicht zuletzt auch aufgrund der von Horn bereits als großen gesellschaftlichen Megatrend angesprochenen Globalisierung, stellt auch eine zunehmende Komplexität in allen wirtschaftlichen, politischen wie sozialen Bereichen mehr denn je einen essentiellen Erfolgsfaktor für Organisationen dar; ein Thema dem sich Dr. Mag. Markus Toma Tomaschitz, Direktor für Human Resource bei der AVL List GmbH in Graz, im Rahmen der Tooling Days widmete. „Komplexität ist eine der größten Herausforderungen, denen sich Organisationen widmen müssen“, erklärte Tomaschitz. Deshalb braucht es auf der Führungsstufe nicht weniger als eine grundlegend neue Denk- und Führungskultur, die die kooperative Zusammenarbeit im Unternehmen fördert, die gegenseitigen Verantwortlichkeiten erhöht und die dezentrale Problemlösung, dank Übertragung der Verantwortlichkeiten auf Untergebene und deren selbständige Entscheidungsbefugnis, fördert.

Das vernetzte Wertschöpfungssystem der Zukunft

Was Professor Wilfried Sihn mit seinem Ruf nach den Why-Nottern in der Gesellschaft und im Besonderen in der Industrie meinte ist, dass es nicht genügt großes Interesse an Neuem zu haben, um dann jedoch mit einem ‘Aber’ die Grenzen zu suchen, sondern mit einem aufgeschlossenen ‘Warum nicht’ auszuprobieren, in Analogien zu denken und Erkenntnisse oder Vorgehensweisen von einem Bereich in einen ganz anderen zu übertragen. Mit dieser Essenz seines Vortrages zum Thema Industrie 4.0 prägte Univ.-Prof. DI Dr.-Ing. Prof. e.h. Dr. h.c. Wilfried Sihn quasi den Geist der diesjährigen Tooling Days in Kapfenberg. Wilfried Sihn ist Geschäftsführer der Fraunhofer Austria Research GmbH und Professor für Betriebstechnik und Systemplanung am Institut für Managementwissenschaften an der Technischen Universität Wien. Nach seinen Ausführungen kennzeichnet Industrie 4.0 eine ganzheitliche und dadurch hoch interdisziplinäre Herangehensweise an die Realisierung von Cyber-Physikalischen Produktionssystemen. Im Mittelpunkt steht dabei die innovative Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien durch die es gelingt, einzelne Wertschöpfungsketten in einem ganzheitlichen Wertschöpfungsnetzwerk zu optimieren, Effizienz und Flexibilität zu steigern und neue Geschäftsmodelle zu erschließen.

Reger Austausch mit den Referenten kennzeichnet die Tooling Days. Hier v.l.n.r. mit Wolfgang Kalss, Reinhold Ebner, Lothar Horn und der Moderatorin Ina Sabitzer.
Dr. Mag. Markus Tomaschitz, Direktor für Human Resource bei der AVL List GmbH in Graz
Faszinierende Vorstellung der Burgfalknerei auf der Burg Oberkapfenberg zum Auftakt der Abendveranstaltung.

Elektronik und Software sind Säulen technischer Innovation

Wie real die Ansätze des von Wilfried Sihn skizzierten Industrie 4.0 bereits sind und wie bei den von Lothar Horn beschriebenen Säulen technischer Innovation mit Fertigungstechnik, Prozessen und Werkstoffen die Elektronik und Software zunimmt, wurde in den Vorträgen von Johann Hofmann „Intelligenter und vollständiger Werkzeugkreislauf als fundamentale Voraussetzung für die digitale Fabrik mit Industrie 4.0“, sowie von Markus Grud „Das Tool Management Cockpit“ oder von Reinhold Ebner „Computergestützte Entwicklung von Wendeschneidplatten“, deutlich.

Johann Hofmann, von der Maschinenfabrik Reinhausen GmbH, zeichnete am Beispiel der dortigen Fertigung ein überzeugendes Bild der sogenannten ‘Vierten Industriellen Revolution’. Er skizzierte die unvermeidbare Komplexitätssteigerung in der Fertigung, ihre Folgen und mit einem MES (Manufacturing Execution System) eine mögliche Lösung dieser Herausforderung, die laut Hofmann gleichzeitig eine fundamentale Voraussetzung für die digitale Fabrik mit Industrie 4.0 ist.

Datenerfassung und Datensteuerung, deren Übergabe an die Maschine sowie die Netzwerkfähigkeit oder die Einbindung des CAD-CAM Systems im Umfeld von Fertigungsstrategien bieten einen Wissensfaktor und damit Vorsprung in der Technik, bestätigte auch Markus Grud von TCM International. „Prozesse müssen wir messen und steuern und zwar mit Kennzahlen“, erklärte Grud, der als Lösung die Tool Managementprojekte von TCM vorstellte.

Dass Elektronik und Software nicht nur dem Datenhandling dienen, sondern zunehmend auch in Form von Simulationstools in Bereichen der Produktentwicklung Einzug halten und so die Zerpanungstechnik maßgeblich vorantreiben, war Thema von Prof. Reinhold Ebner, dem Geschäftsführer des Materials Center Leoben.

Zerspanungsleistung im Focus

Entscheidend für die rasanten Verbesserungen der Produktivität in der zerspanenden Fertigung sind vor allem die Innovationen im Bereich der Werkzeuge. Das betrifft die Präzision an der Schnittstelle ebenso wie die Entwicklung neuer Schneidstoffe oder Beschichtungen. Diesen zentralen Themenfeldern der Tooling Days widmeten sich Dr.-Ing. Patrick Gleim, Leiter des Bereiches F&E bei der WIKUS Sägenfabrik, Wolfgang Kalss, der Marktsegmentverantwortliche Cutting Tools bei Oerlikon Balzers Coating AG, Gert Kellezi von der F&E-Abteilung bei Böhler Edelstahl GmbH & Co. KG, Thomas Falk, Leiter Segment Verzahnung bei LMT FETTE GmbH sowie DI Dr. Reinhard Pitonak, der seit fast 30 Jahren für die Schichtentwicklung im Bereich CVD-Beschichtung bei BOEHLERIT tätig ist.

Sie spannten einen Bogen von Bimetall- und Hartmetallsägebändern mit signifikant gesteigerten Zerspanungsleistungen über revolutionäre Schneidstoffentwicklungen wie dem neuen MC90-Intermet von Böhler Edelstahl oder den SpeedCore Wälzfräsern von LMT FETTE bis in die Bereiche der PVD und CVD Beschichtungen mit der S3p® Technologie von Oerlikon Balzers und der völlig neuartigen, nanostrukturierten Aluminiumtitan-nitrid-CVD-Beschichtung, die BOEHLERIT weltweit als bislang einziger Anbieter herstellen kann.

Eindrucksvolle Praxis

Die Tooling Days 2014 waren auch
wieder Plattform zum Netzwerken, wie hier in angenehmer Atmosphäre
während der Abendveranstaltung auf der Burg Oberkapfenberg.

Mit seinen Erfahrungen aus der Praxis bei der Zerspanung großer Luftfahrtstrukturbauteile aus Titan setzte Dr.-Ing. Jan H. Dege von der Premium AEROTEC GmbH quasi den Schlussakzent der Tooling Days. Der Leiter NC-Programmierung an den Standorten Nordenham und Varel gab detaillierte Einblicke in die Herausforderungen bei der Bearbeitung und in Lösungsansätze für eine produktive Zerspanung.

Noch näheren Einblick in die Praxis, nämlich live, gewährten die Böhler Schmiedetechnik GmbH & Co. KG sowie die Boehlerit GmbH & Co. KG als Entwicklungspionier und weltweit führender Hersteller von Schneidstoffen aus Hartmetall. Besondere Eindrücke hinterließen vor allem die beiden wummernden mechanischen Spindelpressen mit bis zu 35.500 Tonnen Presskraft bei Böhler Schmiedetechnik sowie die interessante Hartmetallproduktion bei Boehlerit.

Neben hochkarätiger Information und exzellenten Eindrücken kam für die Teilnehmer der Tooling Days 2014 auch das Netzwerken nicht zu kurz. Mit der Burg Oberkapfenberg boten die Veranstalter um die AREA m styria GmbH einen ansprechenden Rahmen.

Kontakt:

www.boehlerit.com