Reale und virtuelle Welt im Einklang?

Produktions-Prozesse stoßen an virtuelle Grenzen. Interview mit Dr.-Ing. Werner Herfs MBA vom Werkzeugmaschinenlabor der RWTH Aachen.

3739

Die Vision von Industrie 4.0 nimmt immer konkretere Formen an. Doch vor ihrer Verwirklichung gilt es, die reale Welt der Produktionsmittel und deren virtuelle Repräsentanten in Einklang zu bringen. Dazu müssen virtuelle Steuerung der Werkzeugmaschinen und die Prozesssimulation mit dem real existierenden Fabrikalltag zusammenspielen. Welche Hürden noch zu überwinden sind, beleuchtet Dr.-Ing. Werner Herfs MBA vom Werkzeugmaschinenlabor der RWTH Aachen.

Virtuelle Vielseitigkeit: Wer die bereits bestehende moderner Technologie einsetzt, kann sie als durchgängige virtuelle Produktionsmittel beim Entwickeln und Betreiben von Werkzeugmaschinen nutzen

Herr Dr. Herfs, wie beurteilen Sie als Elektroingenieur die virtuelle Lage?

Herfs: Die Potenziale sind überhaupt nicht ausgeschöpft. Es bleiben noch viele Fragen offen: Wie lassen sich disziplinübergreifende Informationen aus dem Entwicklungsprozess nutzen? Wie gelingt es, aus realen Steuerungsdaten automatisiert Kennwörter in der CAM (Computer Aided Manufacturing: rechnerintegrierte Fertigung) zu bilden? Wie lassen sich Maschinenvarianten virtuell in Betrieb nehmen? Außerdem fehlen den Maschinenherstellern Werkzeuge, die sie beim Absichern der Logik ihrer Steuerungen (SPS) unterstützen.

Wohin geht die Reise bei der virtuellen Simulation des späteren Prozesses?

Herfs: Spanende Fertigungsprozesse stoßen vermehrt an ihre Grenzen, weil Zerspanungs-Werkzeuge immer leistungsfähiger werden und die Stabilität der Maschinen nicht mehr gegeben ist – Stichwort: „Rattern“. Die eingesetzten Planungs- und Simulationswerkzeuge gehen jedoch von weitgehend idealisierten physikalischen Verhältnissen aus: Sie berücksichtigen nicht die tatsächlichen Wechselbeziehungen zwischen Prozess und Maschine. Abhilfe können erweiterte Modelle bieten, die nicht stabile Bearbeitungsbereiche beim virtuellen Einfahren von NC-Programmen vorhersagen.

Nicht ausgeschöpft: Laut Dr. Werner Herfs vom WZL der RWTH Aachen nutzen insbesondere die Maschinenhersteller noch längst nicht alle Potenziale dervirtuellen Werkzeugmaschinen

Aber werden erweiterte Rechenmodelle nicht zu langsam?

Herfs: Wir erforschen dazu im BMBF-Projekt ReffiZ neue Ansätze, die Simulationszeiten bei ausreichender Genauigkeit der Ergebnisse erheblich reduzieren sollen.

Wie wirkt sich Industrie 4.0 auf die virtuelle Werkzeugmaschine aus?

Herfs: Derzeit eher indirekt. Die Diskussionen rund um Industrie 4.0 helfen den Beteiligten, über neue Nutzungsszenarien nachzudenken. Mit Blick auf die Simulation empfiehlt es sich, die Verhaltens- oder Prozessmodelle erst dann zu vernetzen, wenn sie systematisch untersucht und verstanden werden – und nicht nur, damit sie im Sinne von Industrie 4.0 vernetzt sind.

Welche Anregungen kann das Aachener Werkzeugmaschinen-Kolloquium (AWK 2014) im Mai zu diesem Themenkomplex vermitteln?

Herfs: Übergreifende Aspekte spricht WZL-Direktor Professor Christian Brecher in seinem Vortrag zur „Virtualisierung und Vernetzung in der Produktion“ an. Um das Praxiswissen namhafter Maschinenhersteller geht es dann in einem Vortrag „Realer
Nutzen aus virtuellen Produktionsmaschinen“.

Apropos Infobeschaffung: Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die bevorstehende METAV 2014 – auch mit Blick auf die dortige Tagung „Auf dem Weg zu Industrie 4.0“, auf der auch Professor Dr. Günther Schuh vom Werkzeugmaschinenlabor die Aachener Perspektiven vorstellt?

Herfs: Die Metav hat sich schon seit Jahren auf die Fahnen geschrieben, dass sie innovative Lösungen für alle Fertigungsherausforderungen präsentiert – dies gilt auch im Bereich der Automation. Sie hat dies in den vergangenen Jahren stets sehr gut gemeistert und ist auch für uns immer wieder ein wichtiger Anlaufpunkt, um mit den Unternehmen Entwicklungstendenzen und eventuell auch eine gemeinsame Ausrichtung zu diskutieren.

Autor: Nikolaus Fecht, Fachjournalist aus Gelsenkirchen

Dr. Werner Herfs MBA

Vita: Dr.-Ing. Werner Herfs MBA

Der akademischer Oberrat des Lehrstuhls für Werkzeugmaschinen und Geschäftsführende Oberingenieur am Werkzeugmaschinenlabor (WZL) der RWTH Aachen hat nach seinem Studium der allgemeinen Elektrotechnik promoviert zum Thema: „Modellbasierte Software in the Loop Simulation von Werkzeugmaschinen“. Darüberhinaus ist er aktiv in Sachen vierte industrielle Revolution. Dr. Herfs war 2012 und 2013 Mitglied im Autoren-Kernteam der Forschungs- und der Umsetzungsempfehlungen für das Zukunftsprojekt „Industrie 4.0“ und ist ständiger Vertreter von WZL-Direktor Prof. Fritz Klocke im wissenschaftlichen Beirat der Plattform „Industrie 4.0“.

Kontakt:

www.metav.de