Ist sicher wirklich sicher? Aber sicher!

VDW-Technologietag zur METAV 2014 thematisiert Sicherheitstechnik an zerspanenenden Werkzeugmaschinen

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Die Sicherheit technischer Produkte ist in aller Munde. Sind Restrisiken wirklich nicht vermeidbar? Und welche Restrisiken sind tatsächlich noch vertretbar? Neben ethischen und moralischen Aspekten wird über handfeste technische Fragen diskutiert, die von Ingenieuren beantwortet werden müssen. Insbesondere Werkzeugmaschinen stellen hohe Anforderungen an Sicherheitseinrichtungen und Zuverlässigkeit. Im Rahmen der METAV 2014 berichten Experten am 11. März in Düsseldorf über den aktuellen Stand der Entwicklung. Denn deutsche Werkzeugmaschinen sind bereits sehr sicher, und das soll so bleiben.

"Deutsche Werkzeugmaschinen liegen (nicht nur) bei der Sicherheit auf einem Spitzenplatz", bringt Professor Dominic Deutges von der Fachhochschule Niederrhein den Status Quo auf den Punkt. "Das war aber schon vor der EU-Maschinenrichtlinie und den damit verbundenen Normen so."

Spätestens seit Einführung dieser Richtlinie 1995 wurden gesetzliche Vorgaben zur Festlegung von Anforderungen für Sicherheits- und Gesundheitsschutz in Europa zentralisiert. Durch den Gebrauch einer Maschine sollen dem Bediener keine vermeidbaren Gefährdungen zugemutet werden. Die körperliche Unversehrtheit muss durch die Produktgestaltung gewährleistet sein.

"Die Risikobeurteilung ist ein zentrales Elemente der Konformitätsbewertung zur CE-Kennzeichnung von Maschinen", so Thomas Kraus, Experte des VDMA in Frankfurt am Main. "Technische Sicherheitsmaßnahmen, die unabhängig vom Verhalten des Maschinenbedieners wirken, haben Vorrang vor Sicherheitshinweisen. Aktuelle Entwicklungen fördern die Verwendung von berührungslos wirkenden Schutzeinrichtung an Stelle von trennend wirkenden Schutzeinrichtungen."


Restrisiken minimieren – aber wie?

Restrisiken sind dabei leider unvermeidbar; sie gilt es zu minimieren. Das Gefährdungspotenzial von Werkzeugmaschinen – aufgrund hoher Kräfte bei der Bearbeitung großer bewegter Massen oder hoher Werkstückgewichte – wird seit jeher durch große technische Anstrengungen gemindert. Seit Jahren rückläufige Unfallzahlen sind ein Beleg dafür, dass diese Maßnahmen wirken. Dies gilt es neuerdings jedoch mit statistischen Berechnungen zu belegen, so fordert es die ISO 13849.

"Zur Umsetzung neuer Konzepte spielen Elemente der funktionalen Sicherheit eine entscheidende Rolle. Insbesondere mechanische Funktionsmodule in der Sicherheitskette stellen eine Herausforderung hinsichtlich der Ermittlung der Ausfallwahrscheinlichkeit dar. Die Einbeziehung der Betriebsbewährtheit bekommt eine hohe Bedeutung", erläutert Kraus das Spannungsfeld zwischen erfahrungsbasierter Konstruktion und mittlerweile geforderten rechnerischen Nachweisen.

In Expertenkreisen werden seit langem schon spezifische Normen für die Sicherheit einzelner Maschinengruppen erarbeitet. Das ist notwendig, um die teilweise höchst unterschiedlichen Anforderungen, z.B. zwischen zerspanenden und umformenden Maschinen, zu erfüllen. "Entscheidend ist eine möglichst genaue Kenntnis der notwendigen Sicherheitsfunktionen sowie der dafür geforderten Zuverlässigkeit, auch Performance Level genannt." Ralf Kesselkaul von der Berufsgenossenschaft Holz & Metall, Mainz, kennt die Diskussionen aus langjähriger Erfahrung. "Sicherheitsnormen sind nicht zuletzt eine Handreichung für den in der Praxis tätigen Konstrukteur. Sie sollen ihm helfen, Risiken systematisch zu analysieren, Gefährdungen einzuschätzen und Restrisiken weitestgehend zu vermeiden."

Gerade die Beurteilung des Risikos ist jedoch immer wieder strittig. "In rein elektrischen Steuerungsketten ist die Berechnung von Performance Levels recht einfach und die Erhöhung der Sicherheit durch Redundanzen mit wenig Aufwand möglich", weiß Heinrich Mödden vom VDW (Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken). "Dies jedoch auf die ganze Werkzeugmaschine zu übertragen, geht jedoch nicht. Die Spannung von Werkstücken beispielsweise, ist lange erprobt und sehr sicher, wird aber aufgrund theoretischer Betrachtungen immer wieder in Zweifel gezogen. Deshalb haben wir eigene Methoden entwickelt, um die Betriebsbewährtheit unserer Konstruktionsprinzipien nachweisen zu können."


Sonderbetriebsarten verstärkt nutzen

Die Anwendung dieser Methoden getestet hat unter anderen auch Professor Deutges bei der Firma A. Montforts Werkzeugmaschinen GmbH in Mönchengladbach: "Ein wesentlicher Ansatz sind die derzeit von VDW-Gremien verfolgten praxisgerechten Sonderbetriebsarten. Monforts bietet seinen Kunden diese Möglichkeit derzeit mit gutachterlicher Begleitung durch die Berufsgenossenschaften, wobei eine Aufwertung der funktionalen Sicherheit als Argumentationsgrundlage dient."

Diese und andere, teils recht neue Herangehensweisen, wird Deutges auf dem VDW-Technologietag im Rahmen der METAV 2014 in Düsseldorf vorstellen. Die Veranstaltung intensiviert den Austausch zwischen Fachexperten in der Entwicklung und Anwendung moderner Werkzeugmaschinen, denn viele Maschinenhersteller arbeiten derzeit noch an indivduellen Lösungen. "Ein sinnvolles Ziel wäre es deshalb", so Deutges, "bewährte Ansätze schon in den C-Normen zu verankern, um die Abläufe zu vereinfachen."

Ohne Felddaten von Anwendern oder Spezifikationen, die durch Komponenten- und Systemlieferanten beigesteuert werden, könnte die Werkzeugmaschinenindustrie die aufgezeigten neuen Wege gar nicht beschreiten.

"Mit der Einführung der MRL und der DIN EN ISO 13849 hat sich das Sicherheitsbewusstsein unserer Kunden verstärkt", erläutert Thilo Steigerwald von der Bosch Rexroth AG in Lohr. "Nach einigen Unsicherheiten beim Start der ISO 13849 sehe ich nun deutliche Fortschritte. Bosch Rexroth beispielsweise stellt verifizierte und dokumentierte MTTFd-Werten für Hydraulikkomponenten zur Verfügung. Wir unterstützen Maschinenhersteller und Endanwender seit Jahren dabei, ihre Verantwortung für den Schutz von Mensch und Maschine zu tragen, normgerecht und wirtschaftlich. Das gelingt mit sicheren Produkten, kompetenter Beratung und konkreter Wissensvermittlung."

Patrick Gehlen beschäftigt sich bei der Siemens AG in Erlangen mit der Berechnung von Sicherheitsfunktionen und Betriebsbewährtheit. "Sichere Steuerungsketten sind das Ergebnis von zuverlässigen Produkten und langjähriger Erfahrung im Feldeinsatz. Das Feedback unserer Kunden ermöglicht uns eine kontinuierliche Weiterentwicklung unserer eigenen Produkte. Es ist immer wieder interessant zu sehen, welche Lösungen sich Kunden einfallen lassen, um ihre ganz speziellen Probleme zu lösen."

Internationale Sicherheitsstandards längst nicht überall selbstverständlich

Bei allen Fortschritten, die besonders deutsche Maschinenhersteller in den vergangenen Jahren erzielt haben, um ihre Maschinen noch sicherer zu machen, stimmt der Blick auf den Weltmarkt jedoch nachdenklich.

Dazu Dominic Deutges: "Ich habe bei Reisen in China und Taiwan viele Hersteller besucht und einen signifikanten, großen Unterschied festgestellt. Das fängt bei viel zu dünnen und nicht verriegelten Schutzumhausungen an und setzt sich bei der funktionalen Sicherheit der Steuerung fort. In Teilen sind die Sicherheitsfunktionen, wie sie in den internationalen Normen festgehalten sind, von den Konstrukteuren offensichtlich gar nicht verstanden worden."

Dies könnte auf lange Sicht einen Wettbewerbsnachteil für deutsche Werkzeugmaschinenhersteller bedeuten. "Es ist im Interesse aller europäischen Maschinenhersteller, dass die international gültigen Spielregeln auch wirklich eingehalten werden. Und immer neue Regulierungsansätze dürfen keinesfalls zu einer Gefährdung der Wettbewerbsfähigkeit für europäische Hersteller werden", bringt Dr. Alexander Broos vom VDW die Situation auf den Punkt. Zudem könne auch die sicherste Maschine keine vorsätzliche Manipulation ausschließen. Gerade hier liege aber, zumindest in Deutschland, die Hauptursache für die wenigen, hin und wieder auftretenden schweren Unfälle. So müssen alle Hersteller den Spagat zwischen größtmöglicher Flexiblilität, wie sie von den Märkten in Deutschland und Europa gefordert wird, Höchstleistungsprozessen, Komplexität und einfachster Bedienbarkeit für schlecht ausgebildetes Personal schaffen.

Broos, Abteilungsleiter Forschung und Technik des VDW

Broos, der als Abteilungsleiter Forschung und Technik des VDW die neuesten Trends bestens kennt, blickt mit gemischten Gefühlen in die Zukunft: "Unsere Stärke ist es, hochflexible, hochproduktive Maschinen zu bauen. Dass diese sicher sind, ist seit Jahren anerkannt. Wichtig ist nur, dass bei der Vielfalt an Einsatzmöglichkeiten nicht alles über einen Kamm geschoren wird. Eine Maschine, die in Deutschland als sicher anerkannt ist, bleibt auch im Rest der Welt sicher. Ob diese vergleichsweise teure Technik dort aber einen Markt hat, steht auf einem anderen Blatt."


Für den Terminkalender

Was: VDW-Technologietag „Sicherheitstechnik für die spanende Bearbeitung“
Wann: Dienstag, 11. März 2014, 10.00 Uhr bis ca. 14.00 Uhr, anschließend Einladung zur Teilnahme an geführten   Messerundgängen
Wo: Düsseldorfer Messegelände, Congress Center, CCD Ost, Raum R
Anmeldung: www.metav.de im Bereich Rahmenveranstaltungen


Kontakt:


www.vdw.de