Was macht das Werkzeug im PC?

EMO Hannover 2013 zeigt die virtuelle Werkzeugentwicklung in deutsch-amerikanischer Kooperation

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Mitte September 2013 dreht sich in Hannover alles um „Intelligence in Production“. Das Motto der EMO Hannover 2013 trifft in besonderem Maße auf ein deutsch-amerikanisches Firmengespann zu, das sich bereits einen Namen mit virtuellen Methoden und Programmen rund um die Zerspanung gemacht hat. Die Aussteller ISBE und Third Wave Systems verbessern das Zerspanen ganzheitlich von der Werkzeugentwicklung bis hin zum Werkzeugeinsatz im Fertigungsprozess.

„Am Anfang wurden wir belächelt“, blickt Dr.-Ing. Claus Itterheim, Geschäftsführer der ISBE GmbH aus Stuttgart auf das Jahr 2006 zurück, in dem er sein Programm zum „Virtual Tool Design“ vorgestellt hat. Der Entwicklungsleiter eines Werkzeugmaschinenherstellers sagte sogar, das wäre „ein ganz komisches Geschäftsmodell“ ohne jegliche Zukunft. Heute freut sich der Schwabe darüber, dass auch die Skeptiker dieser Firma mit vergleichbaren Entwicklungsarbeiten begonnen haben. Das schwäbische Unternehmen ist mittlerweile in der Werkzeugszene und bei deren Anwendern vor allem wegen seiner Beratung und seinen Programmen rund um die Werkzeugentwicklung bekannt. Eine Spezialität sind Simulationsprogramme, die mittlerweile laut Dr. Itterheim bei vielen Herstellern Bestandteil ihrer systematischen Werkzeugentwicklung sind.

Kennzeichen 3D: Ein
dreidimensionales Modell einesKugelfräsers kommt bei der
Zerspansimulation zum Einsatz, die den Stirnspanraum verbessert.

Simulation ersetzt nicht den Mitarbeiter

Die positive Botschaft aus Stuttgart lautet: Auch die pfiffigste Simulation ersetzt nicht den cleveren Mitarbeiter. Dr. Itterheim: „Mit Zerspanung sowie den entsprechenden Werkzeugen und ihrer Entwicklung beschäftigen sich in der Hochschullandschaft Deutschlands im Vergleich zu allen anderen Technologien leider nur eine Handvoll Leute.“ Zu diesen wenigen Experten zählt auch sein Mitarbeiter Dr.-Ing. Kay Marschalkowski, der im März dieses Jahres auf der 2. ISBE-Anwenderkonferenz in Dortmund aus der Entwicklungspraxis berichtete.

„Durch Berücksichtigung physikalischer Prozessgrößen können wir die Belastung zwischen Werkzeug und Werkstück bei der Zerspanung simulieren. Auf dieser Basis lassen sich auch komplexe 5-Achs-Prozesse zuverlässig optimieren. Solch ein Belastungskollektiv lässt sich auch in weiteren FEM-Analysen zur Betrachtung der Aufspannsituation eines Werkzeuges oder Bauteils nutzen“, beschrieb der Leiter des Tool-Engineering-Center ein Beispiel. „Ich kann so relativ genau eine Datenbasis generieren, um dem Konstrukteur Richtlinien zum Auslegen und zur Optimierung von Spannvorrichtungen oder von Maschinenstrukturen zu geben. Wer nämlich seine Zerspanungsprozesse sehr genau kennt, hat auch eine gute Beschreibung der wichtigen Randbedingungen.“

Zusammenarbeit mit US-Denkfabrik

Derartige Erkenntnisse verdanken die Schwaben den Simulationsprogrammen ihres langjährigen Kooperationspartners Third Wave Systems (TWS), Inc. aus Minneapolis. „Einige Werkzeughersteller aus unserem Kundenkreis wiesen uns auf eine Software namens AdvantEdge aus den USA hin, die sich sehr gut zur präzisen FEM-Simulation von Zerspanprozessen eignen soll“, erinnert sich Dr. Ittenheim. „Nach überzeugenden Tests mit unseren Daten von uns entschieden wir uns im Jahr 2008 zur Kooperation mit TWS.“ Mittlerweile kommt nicht nur diese Software bei ISBE-Kunden zum Einsatz: Bewährt hat sich auch schon das so genannte Production Module, das NC-Programme für das Fräsen und Drehen mit Hilfe einer ebenfalls auf FEM-Daten basierenden Simulation optimiert. Derartige Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg empfindet Nick Shannon, Sales & Application Engineer bei TWS als notwendige Voraussetzung für ein globales Engineering, das „die einzigartigen Entwicklungen der einzelnen Märkte zu einem Angebot bündelt“.

Doch wo sind die Grenzen der Simulation? Lässt sich tatsächlich alles virtuell exakt vorhersagen und optimieren? „Das Zerspanen ist ein extrem komplexes Phänomen mit vielen unbekannten Randbedingungen“, erklärt TWS-Entwicklungsleiter Dr. Shuji Usui. „Daher steht hier noch viel Entwicklungsarbeit an, um diesen Vorgang weiter zu erforschen.“ Ergänzung des deutschen Partners Dr. Itterheim: „Wir müssen vom Kunden erst wissen, welches Ziel er bei der Optimierung der Zerspanung erreichen will. Dann erst können wir ihn beraten, mit welcher Software und welcher Vorgehensweise er die besten Resultate erzielt.“ Völlig falsch sei es, dem Kunden einfach eine Software zu verkaufen und ihn dann allein zu lassen.

Aller (virtueller) Anfang ist schwer

Studieren geht halt vor Simulieren. Dabei gelte es, einige Finessen zu beachten. „Die FEM-Zerspansimulation muss derselben Systematik unterliegen wie der gesamte „Virtual Tool Design“-Prozess“, erklärte Dr. Itterheim. „Reine 2D-Simulationen, zum Beispiel für die Analyse unterschiedlicher Span- und Freiwinkel oder Kantenpräparationen, bilden erste Grundlagen, um Transparenz in den Zerspanprozess zu bringen. Erste Rückschlüsse auf die Spanform lassen sich damit ebenfalls ableiten. Hierfür reichen einfache 2D-Schnitte der Schneidkante als geometrische Grundlage aus.“

Warum bedarf es für das Zerspanen aber spezieller Simulationssysteme? Können das nicht auch Entwickler mit ihrer CAD-CAM-Software abdecken? Dr. Usui: „Die Konstrukteure der Werkzeugmaschinen können zwar die Struktur der gesamten Maschine sehr gut analysieren, doch fehlt ihnen das umfassende Know-how über die Vorgänge an der Werkzeugschneide.“ ISBE-Geschäftsführer Itterheim ergänzt: „Der Konstrukteur sollte nicht mit konstanten Kennwerten simulieren, sondern mit den von uns mit dem Production Module ermittelten dynamischen Parametern. Nur so erfährt er bei der Simulation, welche tatsächlichen Kräfte oder Momente das Verhalten seiner Maschine etwa beim Fräsen oder Drehen beeinflussen.“

Diese Botschaften werden die Simulationsexperten aus Stuttgart und Minneapolis auf der EMO Hannover 2013 auf zwei Wegen vermitteln: Zum einen durch die Vorstellung neuer Software auf ihrem Gemeinschaftsstand und zum anderen durch einen gemeinsamen Vortrag auf der Konferenz „Neue Fertigungstechnologien in der Luft- und Raumfahrt“ des Instituts für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen (IFW) der Universität Hannover (EMO Hannover, 18. bis 19. September 2013, Convention Center).