Schwellenländer im Visier

EMO-Fokus thematisiert Markteintrittschancen in Indien

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Der „erwachende Tiger“ hat zum Sprung angesetzt: Indien ist auf dem Weg zu einem globalen Fertigungsstandort und steht mittlerweile auf Platz 6 der weltgrößten Werkzeugmaschinenmärkte. Auf der EMO Hannover 2011 war Indien nach Deutschland das wichtigste Besucherland mit einem Anteil von über 10 Prozent und mehr als 5 000 Besuchern. Die diesjährige Weltleitmesse der Metallbearbeitung EMO Hannover 2013 trägt dem Rechnung mit dem „EMO Fokus Indien“.

Heute positionieren sich viele Anwender und Hersteller von Werkzeugmaschinen strategisch in Indien. Das liegt am rasant wachsenden Marktpotenzial dieses Subkontinents. Als Investitionsstandort ist Indien nicht nur für Global Player interessant, sondern durchaus auch für mittelständische Werkzeugmaschinenbauer. Die Stolpersteine auf dem Weg dorthin lassen sich umgehen, wenn man sich die Erfahrungen zu Nutze macht, die andere Unternehmen bereits gemacht haben.

Dr. Frank Brinken, CEO der Starrag Group Holding AG

Was beispielsweise ein mittelständischer Werkzeugmaschinenbauer beachten muss, wenn er in Schwellenländern wie Indien Fuß fassen will, umreißt Dr. Frank Brinken, CEO der Starrag Group Holding AG, Rorschacherberg/Schweiz so: „Grundsätzlich muss er zwei Bedingungen erfüllen: Zum ersten muss er die Auslandsexpansion aus einer Position der Stärke angehen, wobei sich der Begriff Stärke auf die Finanz- und Technologieseite bezieht. Er muss in der Lage sein, diese Expansion ohne Fremdmittel finanzieren zu können. Zweitens muss seine Organisation auf eine große interkulturelle Offenheit vorbereitet sein, und zwar auf allen Ebenen. Ist dies z.B. nur auf der oberen Managementebene der Fall, sollte er es besser bleiben lassen.“

Als Absatzmarkt oder Investitionsstandort stehen im Moment „klar Indien und China im Fokus“. Brasilien hat hohe Zölle und exorbitante technische Zulassungshürden. Der Import und auch der Aufbau eigener Produktionen, macht Brinken deutlich, „wird über ein Gremium gesteuert, in dem der größte brasilianische Hersteller und andere lokale Produzenten das Sagen haben. Brasilien verhält sich klar nicht WTO-konform“.

Von Joint Ventures als Mittel zur Umgehung von Importbeschränkungen hält der Starrag-Chef nicht besonders viel: „Ich glaube nicht, dass Joint Ventures längerfristig der richtige Weg zum Aufbau einer eigenen Präsenz in China, Indien oder Russland sind. Die Entscheidungswege sind aufgrund der divergierenden Interessen einfach zu lang und passen nicht zur Dynamik in den Märkten. Zudem ist eine Trennung nach einigen Jahren in der Regel sehr kostenintensiv.“

Bislang verlangten Wachstumsmärkte wie Indien noch „angepasste Technik“ – also Standardmaschinen oder standardisierte Fertigungslinien im unteren Preissegment. Gilt das für angehende Hightech-Regionen auch heute noch? „Ja“, sagt Brinken, „man muss die Maschinen an die klimatischen Bedingungen anpassen und die Komplexität der Bedienung reduzieren. Dazu muss man in ein länderangepasstes Schulungs- und Ausbildungsprogramm investieren. Fertige Zerspaner, die CNC-Kenntnisse auf dem Niveau unserer Lehrabgänger haben, findet man praktisch nicht. Wir haben in Indien gemeinsam mit mehreren Schweizer Unternehmen eine Lehrlingsausbildung nach Schweizer Curriculum ins Leben gerufen“.

Markteinstieg verlangt „langen Atem“

Dr. Albert Neumann, Geschäftsführender Gesellschafter der Strategy Engineers GmbH & Co. KG

Differenzierte Markteintrittschancen für verschiedene Schwellenländer konstatiert Dr. Albert Neumann, Geschäftsführender Gesellschafter der Strategy Engineers GmbH & Co. KG, München: „Obwohl sich die jeweiligen Gegebenheiten politischer, bürokratischer und kultureller Natur in Schwellenländern stark unterscheiden, gibt es eine Reihe von grundlegenden Parallelen, die beim Eintritt in einen neuen Markt zu beachten sind.“ So bedinge der Aufbau eines Kundennetzwerks den Einsatz von lokalem Personal; lokale/regionale Messen bieten oft gute Möglichkeiten, Aufmerksamkeit und Bekanntheit zu steigern.

Des Weiteren sollte man den Markteinstieg „mit langem Atem“ angehen: „In den meisten Schwellenländern orientieren sich Kaufentscheidungen lokaler Unternehmen vornehmlich am initialen Kaufpreis und weniger am ganzheitlichen ‚Business Case‘ einer Maschineninvestition. Diese Haltung zu durchbrechen bedarf teilweise langwieriger Überzeugungsarbeit.“ Unter Umständen könne es Sinn machen, sich mit anderen Werkzeugmaschinenherstellern, mit denen man vom Produktspektrum nicht im direkten Wettbewerb steht, zu einer Vertriebskooperation zusammen zu schließen.

Und schließlich sollten Werkzeugmaschinenbauer bei der Auswahl neu zu erschließender Märkte neben dem Potenzial lokaler Kunden auch und vor allem Investitionstätigkeiten ausländischer Unternehmen in diesem Land berücksichtigen. Deren Qualitätsanforderungen an Maschinen entsprechen häufig denen deutscher Produkte. Die derzeit attraktivsten Märkte unter den Schwellenländern sind für Neumann, neben China, dem inzwischen größten Absatzmarkt für Werkzeugmaschinen, „sicherlich Indien, Russland und Brasilien“.

Das Risiko unkontrollierbarer Know-how-Abflüsse bei Joint Ventures sieht er gelassen: „Aus unserer Erfahrung stellt weniger der lokale, quantitative Wertschöpfungsanteil das zentrale Risiko dar, sondern der Aufbau von spezifischem Entwicklungs- und vor allem Anwendungs-Know-how vor Ort.“ Grundlegend gelte: Je weniger „High-End“-Expertise lokal aufgebaut wird, desto geringer ist das Risiko des Kontrollverlustes. Nichtsdestoweniger müssen gesetzliche Joint Venture-Auflagen in den einzelnen Ländern berücksichtigt werden, die – insbesondere in China – in vielen Fällen den Aufbau von Entwicklungsaktivitäten vorschreiben und somit eine spezifische Abwägung der Ausgestaltung erforderlich machen.

Ähnlich wie in China werden in Indien vor allem Maschinen der unteren Preissegmente nachgefragt. Erfahrungsgemäß, so Neumann, „ist es für deutsche Werkzeugmaschinenbauer schwierig bis unmöglich, am unteren Ende des Produktspektrums erfolgreich zu agieren, selbst wenn Maschinen spezifisch ‚abgespeckt‘ oder alte Maschinentypen verkauft werden. Vielmehr sollten sich deutsche Werkzeugmaschinenhersteller auf ihr Know-how im Bereich der Qualitätsfertigung konzentrieren, da hierfür aufgrund der zunehmenden Export- und Qualitätsorientierung von Produktherstellern in Schwellenländern ein wachsender Bedarf besteht“.

Große Erwartungen setzt der Experte diesbezüglich auf die EMO Hannover 2013: „Während sich China bereits als mit Abstand größter Werkzeugmaschinenmarkt der Welt etabliert hat, gewinnt Indien mit Zeitverzug zunehmend an Bedeutung. Mit über 2 Mrd. Euro Marktvolumen ist Indien bereits der sechstgrößte Werkzeugmaschinenmarkt weltweit.“ Der „EMO Fokus Indien“, ein halbtägiges Seminar am 18. September 2013, bietet nicht-indischen Unternehmen die Chance, im Dialog mit indischen Kunden deren Bedürfnisse und Zukunftsplanungen besser zu verstehen. Umgekehrt, so Neumann, „erhalten indische Besucher einen Einblick, welche Lösungen zur Fertigung hochqualitativer Teile und Produkte bereits heute verfügbar sind“.

Standortauswahl hat entscheidende Bedeutung

Manfred Bender, Vice President Sales Europe and Asia/Pacific bei Carl Zeiss Industrielle Messtechnik GmbH

Zu den Risiken des Markteintritts berichtet auch Manfred Bender, Vice President Sales Europe and Asia/Pacific der Carl Zeiss Industrielle Messtechnik GmbH, Oberkochen aus dem praktischen Nähkästchen: „Aufgrund der schwachen Infrastruktur in Indien kommt der Standortauswahl eine entscheidende Bedeutung zu. Regional gibt es deutlich ausgeprägte Industrie Hotspots, wie z.B. Automobil in Chennai und Pune. Der Maschinenbau konzentriert sich vor allem in den Städten Bangalore, Pune und Chennai. Anhaltspunkte für die Standortauswahl kann die Indo Germany Chamber of Commerce liefern und ein guter Anwalt vor Ort.“

An diesen Hotspots demonstriere Zeiss Kundennähe durch Mess- und Kompetenzzentren in Bangalore, Chennai, Pune und Delhi. „Nach unseren Erfahrungen“, so Bender, „ist es für indische Kunden sehr wichtig, mit einem international anerkannten Unternehmen zusammen zu arbeiten. Reputation und Marke spielen eine wichtige Rolle“. Eine ebenfalls sehr große Bedeutung habe die Auswahl und Qualifikation der lokalen Mitarbeiter.

Zur Frage „angepasste Technik“ kann der Zeiss-Experte auf eigene Erfahrungen zurückgreifen: „An unserem neuen Produktionsstandort in Indien fertigen wir vor allem Koordinatenmessgeräte im mittleren und unteren Preissegment. Damit stellen wir sicher, dass wir die starke Nachfrage nach Geräten mit attraktivem Preis-Leistungsverhältnis bedienen können. Indien ist ein sehr preissensitiver Markt – mit dieser Strategie der Lokalisierung ermöglichen wir uns einen verbesserten Zugang auch zu lokalen Kunden. Unsere internationalen Großkunden hingegen verlangen nach High-End-Lösungen. Bei diesen Firmen steht vor allem eine hohe Produktivität im Vordergrund.“

Highend-Lösungen in großer Vielfalt bietet auch die EMO Hannover 2013. Manfred Bender: „Die EMO ist natürlich der Gradmesser für die Werkzeugmaschinenindustrie weltweit. Die Nachfrage nach Koordinatenmessmaschinen korreliert stark mit der Nachfrage nach Werkzeugmaschinen, schließlich werden die meisten zu messenden Werkstücke zuvor auf einer Werkzeugmaschine hergestellt. Nach der aktuell spürbaren Kaufzurückhaltung wird es sicher sehr spannend sein zu beobachten, inwieweit die EMO Zuspruch findet. So hoffen wir natürlich auch auf eine hohe Besucheranzahl aus Schwellenländern wie Indien.“

Quelle:

VDW