Revolutionäre Werkzeugkonzepte auf der EMO

Ein Wort, zwei Zahlen und ein Satzzeichen erregen die Gemüter wie einst die Vision von Computer Integrated Manufacturing (CIM): Die Rede ist von Industrie 4.0, der neuen Fabrikation mit webbasierter Vernetzung. Doch welche Rolle spielen dabei die Werkzeuge? Ein Situationsbericht von der Schmalkalder Werkzeugtagung 2012, dem Insidertreffpunkt der Zerspaner.

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Das Reizthema Industrie 4.0 – manche sprechen spöttisch schon von CIMSalabim 2.0 – stand nicht im Tagungsprogramm der 10. Schmalkalder Werkzeugtagung. Trotzdem ist das Thema den Herstellern und Anwendern von Zerspanungswerkzeugen nicht gleichgültig: Wer genauer hinschaut, entdeckt bereits jetzt schon Werkzeuge mit dem Zeug zu Industrie 4.0. Die 200 Tagungsteilnehmer sahen es sowohl in den Vorträgen als auch beim Rundgang durch das Versuchsfeld und die Laboratorien der GFE – Gesellschaft für Fertigungstechnik und Entwicklung Schmalkalden e.V., Veranstalter der Fachtagung für Präzisionswerkzeuge.

Bernd Aschenbach, GFE – Gesellschaft für Fertigungstechnik und Entwicklung Schmalkalden e.V.
Werkzeug 4.0: Um die Kosten zu senken, entwickelte GFE einen Prototyp mit serienmäßigen Elektronik-Baugruppen.
Dr.-Ing. Christof W. Bönsch, Geschäftsführer der Komet Group GmbH, Besigheim

Wenn das Werkzeug funkt…
Die Thüringer Experten führten zum Beispiel ein mechatronisches Werkzeug zur Rückwärtsbearbeitung großer Bohrungen vor, das den jeweiligen Werkzeugzustand während der Zerspanung  telemetrisch erfasst. Dieses Messdaten erfassende und sendende Werkzeug passt gut in das neue Konzept vom „Internet der Dinge“, in dem im Prinzip wie im üblichen Web alle Teilnehmer miteinander kommunizieren. GFE-Wissenschaftler Bernd Aschenbach: „Der Einsatz mechatronischer Werkzeuge mit integrierter sensorüberwachter Aktorik kann helfen, den Aufwand zur Fertigung rückwärtiger Senkungen von Bohrungen auf Groß-Bearbeitungszentren bei gleichzeitig hoher Prozesssicherheit zu verringern.“  Um die Kosten zu senken, entwickelte GFE einen Prototyp mit serienmäßigen Elektronik-Baugruppen. So genannte Hall-Sensoren überwachen die Endlagen des hydraulischen Schneidenantriebs, die an eine Basisstation übermittelt werden.

Einen Schritt weiter geht das BMBF-Verbundprojekt Sensomikrosys. Hier ist extrem kleine Sensorik entstanden, die hochdynamisch belastete Maschinen- und Werkzeugkomponenten in Echtzeit überwacht. Diese Mikrosysteme dienen unter anderem zum Messen der Kräfte in Werkzeugen und Spannsystemen. Hierzu hat die GFE auf der Schmalkalder Werkzeugtagung einen Prüfstand zur dynamischen Belastungsprüfung für Werkzeugspannsysteme in Maschinenspindeln vorgestellt. Selbst in Handwerkzeuge lassen sich derartige  Sensoren integrieren.  Auch hier würde der Begriff Werkzeuge 4.0 gut passen.
„Wir werden zur EMO Hannover 2013 viele interessante Werkzeug- und Technologielösungen sehen, die solche Konzepte mit Sensorik und Aktorik vergegenständlichen“, meint GFE-Geschäftsführer Prof. Dr.-Ing. Frank Barthelmä. „Der Grundgedanke, Maschinenfunktionalitäten in das Werkzeug zu integrieren, ist ja nicht ganz neu. Aber bei Bearbeitungsaufgaben, wie beispielsweise Anlagen für die Energietechnik oder Komponenten für Großmaschinen, sind wir mittlerweile bei ganz anderen Dimensionen angelangt. Die EMO wird auch zeigen, dass neben dem Neuheitsgrad technischer Lösungen mehr denn je deren Wirtschaftlichkeit hinterfragt werden wird.“
Auf Assistenzsysteme setzt die Komet Group GmbH aus Besigheim. Den Begriff hat Geschäftsführer Dr.-Ing. Christof W. Bönsch bewusst aus der Automobilindustrie übernommen. „Das Rückwärtseinparken ist für manche Menschen eine komplexe Aufgabe. Für sie gibt es Assistenzsysteme, die das Problem lösen“, erklärt der Geschäftsführer. „Die Idee ist, ob wir nicht auch in der Zerspanung zu Assistenzsystemen kommen können, die uns das Leben erleichtern.“ In diese Richtung weisen die bekannten Systeme zur Prozessüberwachung, die beispielsweise Werkzeugverschleiß erkennen oder die das Zerspanen mit Hilfe sich anpassender Regelungen verbessern.

„Fingerabdruck“ des Prozesses
Seiner Ansicht nach sind noch mehr Dinge möglich: Denkbar wäre beispielsweise ein Prozess-Fingerabdruck, der Maschinendynamik, Spindelverhalten, Zerspankräfte und Aufspann-Situation ganzheitlich erfasst und als Standardprozess definiert. Diese so genannten Fingerprints ließen sich bei Prozessabnahmen nutzen, etwa in Folge einer Produktionsverlagerung oder bei einem Serienanlauf in der Automobilindustrie (SOP).  „Wenn beispielsweise ein riesiges Werk in China gebaut wird, dann kommen dort Maschinen zum Einsatz, die in Deutschland mit etablierten Prozessen laufen“, meint Dr. Bönsch in Schmalkalden. „Durch das Überwachen des Systems lässt sich der Fingerprint eines Prozesses herstellen und mit seiner Hilfe ein selbstlernendes Herstellverfahren verwirklichen.“ Die Werkzeugindustrie stehe hier aber noch ganz am Anfang der Entwicklung.

Ein anderes Thema betrifft das Werkzeugmanagement. Der Experte von Komet spricht damit jedoch nicht das Toolmanagement an, also das Verwalten und Beschaffen von Werkzeugen, etwa durch einen externen Dienstleister. „Ich verstehe unter Werkzeugmanagement das durchgängige Erfassen aller relevanten Daten über den gesamte Lebenszyklus eines Werkzeuges hinweg“, sagt Bönsch. „Wir haben dazu unsere Werkzeuge mit dem Laser mit Datamatrixcodes beschriftet, die sich über einen einfachen Scanner lesen lassen.“

Der Code dient nur zur Identifizierung des Werkzeuges, die Detailinformationen zu wichtigen Kennwerten kommen beispielsweise von Sensoren. Ein elektronisches System erfasst dank dieser Einrichtungen nun das gesamte „Werkzeugleben“, das in einer Datenwolke, einer „Cloud“, gespeichert wird. Das könne sogar so weit gehen, dass die erfassten Prozessdaten eines Werkzeuges miteinander verknüpft werden. Christof W. Bönsch: „Ich kann in der Cloud eine komplette Werkzeug-Historie inklusive aller Parameter hinterlegen.“

Von Google lernen

Komet hat bereits die Übertragung von Voreinstelldaten des Werkzeuges in das Werkzeugmanagement durch einfaches  Scannen verwirklicht. Doch das Unternehmen will – Industrie 4.0  lässt grüßen – sehr viel mehr realisieren. Das Ziel ist eine Cloud mit einer großen Menge an Prozess- und Werkzeugdaten, die als Basis für eine mächtige, statistisch sehr gut abgesicherte Wissensdatenbank dient. Sie könne dann zuverlässig Fragen, beispielsweise zum Verhalten von Werkzeugen während eines Einsatzes oder auch zur Art von Maschinenstörungen beantworten. Doch es sei noch mehr möglich, denn mit den zahlreichen erfassten Daten sinke auch die Fehlerquote. Als Beweis führt Bönsch Google an, das dank der weltweiten Vernetzung und der vielfachen Nutzung so leistungsfähig ist.

„Die Statistik übernimmt bei Systemen wie Google eine wichtige Rolle“, meint der Fachmann. „Wenn pro Tag mehrere Milliarden Suchanfragen eingehen, dann spielen die wenigen Anfragen, die nicht exakt zum Thema passen, keine nennenswerte Rolle.“ Daher seien die aufgetretenen Fehler „statistisch irrelevant“. Analog dazu ließe sich auch für Werkzeuge eine entsprechende Wissensdatenbank aufbauen. Dr. Bönsch: „Das könnte ein Tool sein, in dem hinterlegt ist, wie wir zielgerichtet unsere eigenen Daten auswerten können.“
Noch klingt dies noch nach Science Fiction. Erste Konturen werden jedoch schon auf der EMO Hannover 2013 sichtbar. Viel möchte Komet noch nicht verraten, doch eines steht für Bönsch bereits am Anfang des neuen Jahres fest: „Die EMO ist für uns eine ideale Gelegenheit, der Öffentlichkeit erste industrielle Umsetzungen dieser Gedanken zu präsentieren. Wir werden zu den angesprochenen Themen erste Mock-Ups vorstellen, die  konkrete Aufgabenstellungen unserer Kunden adressieren. Die großen Themengebiete sind dabei Assistenzsysteme zur Kommunalisierung von Zerspanungsprozessen und das Cloud-basierte Werkzeugmanagement als On-Demand-Applikation“.