Wochen schrumpfen zu Stunden – Computertomographen in der Industrie machen es möglich

EMO Hannover 2007 präsentiert Revolution in der Messtechnik

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Das neue Jahr beginnt gut für den Automobilzulieferer Delphi aus Wuppertal, der als Pilotanwender seit einem knappen Jahr eine völlig neue Messmaschine testet. Es handelt sich um einen für Delphi maßgeschneiderten Computertomographen (CT), der in Kürze die Zulassung als staatlich anerkanntes Messmittel erhält. Das Neue: Die CT-Anlage misst auch im Werkstück-Inneren, was konventionelle 3D-Koordinatenmesstechnik nicht schafft. Die Branche reagiert: Auf der EMO Hannover 2007 sind Computertomographen in der Fertigung ein Thema.

Am Anfang jeder „Gesundheitsreform“ steht oft eine Krankheit. So auch bei der Abteilung für Qualitätssicherung der Delphi Deutschland GmbH: Qualitätsmanager Peter Knauff musste im Jahr 2000 wegen eines Unfalls in einen Computertomographen, der ihn sehr präzise durchleuchtete.

Einsatz in der Qualitätssicherung
Nach seiner Genesung fragte sich Knauff, von der Technik sichtlich fasziniert: „Warum nutzen wir sie nicht auch in der Qualitätssicherung?“ Der Automobilzulieferer Delphi entwickelt in Wuppertal Automobilelektronik und die dazu passenden Verbindungselemente. Dabei handelt es sich um sehr filigrane und komplex geformte Teile, die mit Spritzgießformen aus dem eigenen Werkzeugbau entstehen. Das Ergebnis des Spritzgießens muss in einer sehr frühen Entwicklungsphase mit der digitalen Konstruktion verglichen werden. Je nach Komplexität – etwa beim Vermessen von Bauteilen mit Hunderten von Qualitätsmerkmalen – dauert dieser Vorgang oft Wochen.

Längenmessung per Computertomograph

Zeit ist jedoch eher Mangelware bei der Entwicklung von Automobilteilen, die stets pünktlich zum „Start of Production“ fertig validiert beim Kunden sein müssen. Die Idee von Qualitätsmanager Peter Knauff: „Der Computertomograph digitalisiert sehr genau das Volumen von Körpern aller Art. Diese Eigenschaft müsste sich doch eigentlich für die digitale Längenmesstechnik nutzen lassen.“ Der Qualitätsmanager steckte mit dieser Idee seinen Arbeitgeber an. Mit Unterstützung der Firma YXLON International CT Development GmbH aus Hattingen wurde ein CT entwickelte, der in erster Linie Bauteile exakt vermisst. Das Unternehmen ist eine Tochter der YXLON International X-Ray GmbH aus Hamburg, die sonst in erster Linie röntgenbasierte Systeme für die zerstörungsfreie Materialprüfung herstellt.

Stunden statt Wochen

So arbeitet die Anlage: Es entsteht eine Punktwolke, in die sich der Anwender bis auf Pixelgröße (0,007 mm) hineinzoomen kann, um beliebige Stellen in dem 3D-Gebilde zu vermessen. Delphi überlagert diese Datensätze in mehreren Schritten mit den entsprechenden Werten der CAD-Konstruktion. Dabei wird jedes vermessene Detail des Bauteils als numerischer Wert mit dem CAD-Modell verglichen. Je größer die Differenz ausfällt, desto intensiver markiert die Software die Abweichungen mithilfe einer Farbskala. Knauff: „Das Validieren eines komplexen Bauteils verkürzt sich auf diese Weise mit dem CT um bis zu 70 Prozent. Das ist bares Geld für uns Arbeitgeber.“ Für eine Vollmessung, die die Autoindustrie einmal jährlich für jedes Teil fordert, benötigt ein Messtechniker drei bis vier Wochen. Mit der CT-Anlage schafft er es laut Delphi in drei bis vier Stunden.

Die maximale Bauteildicke nimmt mit der Festigkeit des Materials ab. Tiefziehstahl lässt sich beispielsweise bis zu einer Wanddicke von 3,0 bis 4,0 mm durchleuchten. Hochfeste Stähle jenseits von 1 000 MPa lassen sich nur bei sehr kleinen Bauteilen durchleuchten. Ein interessanter Anwendungsfall sind Dieseleinspritzdüsen aus hochfestem Stahl, deren Wirkungsgrad mit der Kontur der 0,08 mm-Bohrungen steht und fällt. Das eigentliche Ziel, die Zulassung als Messmittel, steht nun kurz bevor. Knauff: „Ich rechne in Kürze mit der Zulassung unserer CT-Anlage als Messmittel für unsere in Wuppertal-Ronsdorf gefertigten Produkte.“

Auch die Hersteller von Koordinatenmessmaschinen erkennen nun, dass diese Technik ihr Stammgeschäft bedroht. Ein Umdenken hat aber bereits stattgefunden: So wird die „Revolution in der Messtechnik“ auf der EMO Hannover 2007 ein wichtiges Thema sein. Weitere Aussteller u.a. Carl Mahr Holding GmbH, Göttingen (www.mahr.de), Carl Zeiss Industrielle Messtechnik GmbH, Oberkochen (www.zeiss.de) und Werth Messtechnik GmbH, Gießen (www.werthmesstechnik.de).

So funktioniert industrielle Computertomographie

Die physikalischen Bedingungen in der Computertomographie (CT) entsprechen im Prinzip denen der Radiographie. Die CT erzeugt allerdings in Schichten eine große Anzahl zweidimensionaler (2D)-Bilder der sich bewegenden Struktur. Die digitalisierten Bilder wandern in Großrechner, die aus den 2D-Bildern 3D-Datensätze der untersuchten Struktur errechnen. Das dabei entstandene 3D-Datenmodell, eine digitale Kopie des Ist-Zustandes der untersuchten Struktur, kann in Schnitten weiter analysiert werden. Der Unterschied zur medizinischen Anlage: Während beim Arzt die Strahlenquelle und die Abbildungsebene um den zu untersuchenden Bereich (also den Patienten) rotieren, dreht sich bei der industriellen CT das zu untersuchende Objekt und die Technik steht.

Delphi Deutschland GmbH, Wuppertal
In Wuppertal befinden sich am Stammsitz der Delphi Deutschland GmbH, einer Tochter des amerikanischen Automobilzuliefererkonzerns Delphi (weltweit 177 000 Mitarbeiter, 26,9 Mrd. US-Dollar Umsatz – in Europa: 50 000 Mitarbeiter, 5,4 Mrd. Euro Umsatz), die beiden Zentren für Systementwicklung und Technologie. Im Kunden-Technologie-Zentrum arbeiten 1 200 Mitarbeiter aus 30 Nationen. Etwa jeder Zweite ist Ingenieur, der Entwicklungsaufgaben übernimmt. An einem zweiten Standort in Wuppertal-Ronsdorf arbeiten weitere 300 Mitarbeiter im Werkzeugbau Prozessengineering und Technikum.

KONTAKT
www.delphi.com

Anmerkungen:
Die EMO Hannover 2007 findet vom 17. bis 22. September statt. Sie ist der größte und internationalste Treffpunkt für die Fertigungstechnik weltweit. Die EMO zeigt alle Technologien, die in der Metallbearbeitung zum Einsatz kommen, spanende und umformende Werkzeugmaschinen als Herz der industriellen Fertigung, Präzisionswerkzeuge, Oberflächenbearbeitung, Software und Steuerungen für die gesamte Fertigungstechnik, Automatisierungssysteme und -komponenten, Mess-, Prüf- und Qualitätsmanagementsysteme, Maschinen und Systeme für den Werkzeug- und Formenbau u.v.m. Zur Besucherzielgruppe der EMO gehören die großen Industriebranchen, wie der Maschinen- und Anlagenbau, die Automobilindustrie und ihre Zulieferer, die Luft- und Raumfahrttechnik, Feinmechanik und Optik, Schiffbau, Medizintechnik, Werkzeug- und Formenbau, Stahl- und Leichtbau. Zuletzt präsentierten sich 2005 in Hannover 2 000 Aussteller auf 160 000 m² Nettoausstellungsfläche. Sie zogen mehr als 160 000 Fachbesucher aus über 80 Ländern an.