VibroCut auf der Intec 2023

Durch innovative Schwingungsunterstützung lassen sich in Zerspanungsprozessen Bearbeitungskräfte, Werkzeugverschleiß, Gratbildung und Spanbruchprobleme reduzieren. Auf der Intec 2023 zeigt die Fraunhofer IWU-Ausgründung VibroCut wie das geht.

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System für das ultraschallunterstützte Bohren und Tiefbohren (Bildnachweis: Fraunhofer IWU)

Das Team am Fraunhofer IWU um Dipl.-Ing. Oliver Georgi nutzt gezielt erzeugte Schwingungen im Bereich bis 100 Hz oder im Ultraschallbereich über 16 kHz, um bei Zerspanungsprozessen bestehende Verfahrensgrenzen zu verschieben. In zahlreichen Industrieprojekten konnte es das technische Potential der schwingungsunterstützten Zerspanung nachweisen und signifikante Kostenvorteile beim Einsatz in der mechanischen Teilefertigung aufzeigen. Insbesondere in der Großserienfertigung sind die Skaleneffekte groß.

Schwingungsunterstützung im Ultraschallbereich beim Bohren und Tiefbohren

Hochfrequente Schwingungen im Ultraschallbereich (ab 16kHz) erhöhen beim Bohren und Tiefbohren die Produktivität und Prozesssicherheit. Die Ultraschallschwingungen führen in bestimmten Materialien, wie Kupfer- oder Aluminiumlegierungen, zu werkstofftechnischen Effekten, wodurch die Zerspanungskräfte deutlich sinken. In der Folge kann die Produktivität durch eine Erhöhung der Schnittwerte gesteigert werden.

Ein Beispiel: Bei einem Maschinenstundensatz von 130 €, einer jährlichen Planbelegungszeit von 6000 Stunden sowie einem Hauptzeitanteil des Bohrens von 35 Prozent, führt eine 40-prozentige Erhöhung von Drehzahl oder Vorschub zu einer Produktivitätssteigerung von 10 Prozent oder Einsparungen in Höhe von 78.000 €. Werden diese Schnittparameter um 100 Prozent erhöht, können sogar 136.000 € Betriebskosten eingespart werden.

In anderen Anwendungsfällen steht die positive Auswirkung in Bezug auf die Gratbildung im Vordergrund. Durch die Reduzierung der Vorschubkraft wird diese so weit vermindert, dass Bearbeitungsaufwände zum Entgraten reduziert werden und in manchen Fällen sogar vollständig entfallen können. Beim Tiefbohren sorgt die Ultraschallunterstützung für einen verbesserten Spanabtransport und mehr Prozesssicherheit. Durch die genannten werkstofftechnischen Effekte wird der für die Qualität bestimmende Mittenverlauf verringert.

Die Ultraschallschwingung modifiziert zusätzlich Reibungskontakte in der Zerspanungszone und damit den Werkzeugverschleiß: die Werkzeugstandzeit steigt signifikant. In bestimmten Anwendungen, etwa bei der Zerspanung von schwer spanbaren Materialien wie Nickelbasislegierungen, ermöglicht erst die Ultraschallunterstützung eine ausreichende Prozessfähigkeit, akzeptable Werkzeugstandzeiten und damit eine wirtschaftliche Fertigung.

Schwingungsunterstützung im niederfrequenten Bereich beim Drehen

System für das schwingungsunterstützte Drehen (Bildnachweis: Fraunhofer IWU)

Bei Zerspanungsprozessen mit kontinuierlichem Schneideneingriff, wie dem Drehen, ist der Spanbruch eine große Herausforderung. In der Serienfertigung führen Störgrößen wie Werkzeugverschleiß oder Chargenschwankungen dazu, dass oft kein prozesssicherer Spanbruch eingestellt werden kann.

Lange Späne und Wirrspäne können die Werkstücke beschädigen und führen zur Bildung von Spänenestern, welche den Spänefluss stören. Solche Spänenester müssen manuell beseitigt werden, was nur bei Maschinenstillstand möglich ist. Wird der Spanbruch nicht beherrscht, ist in einigen Fällen sogar der Fertigungsprozess nicht automatisierbar.

Durch die Schwingungsunterstützung mit bis zu 100 Hz und 0,6 mm Schwingweite entstehen prozesssicher kurze und definiert gebrochene Späne. Wo Drehmaschinen bisher selbst in der Serienfertigung mehrere Minuten pro Stunde gestoppt werden mussten, verursacht der Spanbruch nun keine Produktionsunterbrechungen mehr.

Mit Schwingungsunterstützung erzeugte kurze Späne (Bildvordergrund) im Vergleich zu langen Spänen (konventioneller Drehprozess mit identischen Parametern) (Bildnachweis: Fraunhofer IWU)

Die Schwingungsunterstützung bei der Zerspanung wird mit innovativen und flexiblen Systemen realisiert, welche als Werkzeughalter am Revolver der Drehmaschinen eingewechselt werden können.

Folgendes Beispiel beim Innendrehen unterstreicht das Einsparpotential durch die verbesserte Maschinenverfügbarkeit: Bei einem Maschinenstundensatz von 85 € und einer jährlichen Planbelegungszeit von 6000 Stunden führt ein spanbruchbedingter Nutzungsausfall von durchschnittlich 6 Minuten pro Stunde zu einem jährlichen Nutzungsverlust von 10 Prozent und Stillstandskosten in Höhe von 51.000 €. Diese Kosten sind durch den Einsatz der neuartigen Technologie vermeidbar.

Anwendung in der Radlagerfertigung

Insbesondere in der Automobilindustrie kann die schwingungsunterstützte Zerspanung einen Beitrag leisten, die Effizienz bei der Fertigung zahlreicher Teilefamilien zu verbessern. Der Automobil- und Industriezulieferer Schaeffler setzt das schwingungsunterstützte Drehen erfolgreich beim Innendrehen in der Radlagerfertigung ein, um die Produktivität weiter zu steigern. Auch die Ultraschallunterstützung realisierte das Unternehmen gemeinsam mit dem Fraunhofer IWU für die Kernbohrungen der Gewinde in den Radlagern.

VibroCut: Ausgründung aus dem Fraunhofer IWU

Das künftige VibroCut-Team (v.l.n.r.): Dipl.-Ing. Carlo Rüger (Applikationsingenieur für zerspanungstechnische Prozesse), Dipl.-Ing. Oliver Georgi, (Geschäftsführung, Technischer Vertrieb), M.A. Viola Lehmann (Kaufmännische Leitung, Finanzen, Verwaltung, Marketing), M.Sc. Martin Schwarze (Entwicklung) (Bildnachweis: Fraunhofer IWU)

Das Gründungsvorhaben VibroCut ist die Antwort des Forscherteams um Oliver Georgi auf das große Interesse vieler Industriepartner an innovativen Lösungen für mehr Effizienz in der Zerspanung. VibroCut wird zukünftig Schwingsysteme vertreiben, die als Funktionserweiterung für bestehende Werkzeugmaschinen nachgerüstet werden können.

Darüber hinaus wird das Unternehmen Dienstleistungen wie kundenspezifische Technologieentwicklung, Maschinenintegration und Schulungen anbieten, seine Kunden also mit Komplettlösungen für die schwingungsunterstützte Zerspanung unterstützen. Der Markteinstieg erfolgt für die Verfahren des Bohrens und Drehens.

Das Unternehmen wird sich jedoch nicht auf einzelne Marktnischen beschränkten, sondern künftig weitere Anwendungen in unterschiedlichen Zerspanungsprozessen abdecken. Großes Marktpotenzial sieht VibroCut in der Automobil- und Zuliefererindustrie, im Maschinenbau oder in der Luft- und Raumfahrtechnik.

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz fördert VibroCut im Rahmen von EXIST, einem Programm zur Unterstützung herausragender forschungsbasierter Gründungsvorhaben. Die Unternehmensgründung ist für Mitte 2023 vorgesehen.

Das Gründerteam

Das VibroCut-Gründerteam besteht aus drei Wissenschaftlern und einer Betriebswirtin des Fraunhofer IWU. Die Wissenschaftler haben das Forschungsfeld der schwingungsunterstützten Zerspanung am Institut seit 2015 maßgeblich vorangetrieben. Entstanden sind dabei patentierte, nachrüstbare und hochflexible Schwingsysteme, die ihre einzigartige Leistungsfähigkeit und Robustheit auch bei Hochleistungszerspanungsprozessen unter Beweis gestellt haben: beste Voraussetzungen für einen nachhaltigen Markterfolg.

Das Team von VibroCut auf der Intec in Halle 3, Stand D50

Kontakt:

www.iwu.fraunhofer.de