Vor allem in Sachen Leichtbau sind Alleingänge bei den Werkstoffen passé. Gefragt ist die intelligente Mischbauweise – zum Beispiel mit Schichten aus Kunststoff, Aluminium oder Stahl. Doch wie lassen sich Hybridbauteile bearbeiten, deren Eigenschaft sich mit jeder Werkstoffschicht ändert? Antworten auf diese Frage bieten nicht nur die Lösungen der Werkzeugindustrie auf der EMO Hannover 2019 im September, sondern einige Monate früher auch Prof. Frank Barthelmä, Geschäftsführer der GFE – Gesellschaft für Fertigungstechnik und Entwicklung Schmalkalden e.V.
Herr Professor Barthelmä, Werkzeugforscher wie Sie haben sich schon seit längerem auf die Herausforderung Hybrid eingestellt. Welche Themen sind aktuell bei der klassischen Werkzeugtechnik besonders gefragt?
Frank Barthelmä: Aus Sicht der Werkzeugtechnik wird es immer dann spannend, wenn Anwender unterschiedliche Werkstoffe innerhalb eines Bauteils möglichst mit ein- und demselben Werkzeug bearbeiten wollen – und das natürlich wirtschaftlich. Typische Beispiele sind Verbundwerkstoffe wie Aluminium mit Titan, Faserverbundwerkstoffe in Verbindung mit Metallen bis hin zu Mehrlagen-Schichtsystemen. Anwendungen gibt es in der Luft- und Raumfahrt, dem Automobilindustrie und zunehmend auch im Maschinen- und Anlagenbau. Hier „begegnet“ die Werkzeugschneide unterschiedlichen Anforderungsprofilen: Als eine Herausforderung sehe ich die Bearbeitung beispielsweise von sogenannten Hart-Weich-Kombinationen mit ihren „Zonenübergängen“.
Was bedeutet das für das „Werkzeug-Dreigestirn“, also das Zusammenspiel von Schneidstoff, Geometrie und Beschichtung?
Frank Barthelmä: Die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten müssen sich auf die Gesamtheit dieser Faktoren beziehen, also auch auf deren Wechselwirkungen untereinander. Wurde beispielsweise eine Veränderung beim Schneidstoff vorgenommen oder eine neue Schneidengeometrie entwickelt, muss der Werkzeugentwickler auch die Beschichtung bzw. die Beschichtungstechnologie anpassen. Er muss aber nach wie vor auch auf die Schneidenmikrogeometrie achten, also auf die Schneidkantenausprägung unmittelbar im Übergangsbereich von Haupt- und Nebenschneide. Gerade für schwer spanbare Hybridwerkstoffe ist dies von besonderer Bedeutung. Vor kurzem hat der VDMA-Fachverband Präzisionswerkzeuge ein Forschungsprojekt gestartet, in dem die GFE gemeinsam mit Partnern aus Industrie und Forschung derartige Wirkzusammenhänge in Verbindung mit optimal auf den jeweiligen Zerspanprozess zugeschnittenen Schneidenmikrogeometrien untersucht.
Zunehmend kommt aber ergänzend die Digitalisierung ins Spiel, die mit Hilfe von Sensorik und Algorithmen das Zerspanen in Schichtwerkstoffen durch angepasste Schneidprozesse erleichtert. Wie unterstützen Sie die Werkzeugindustrie und deren Anwender mit aktuellen Forschungsvorhaben?
Frank Barthelmä: In Sachen Sensorik gab es bereits einige „revolutionäre“ Entwicklungen wie die Dünnschichtsensorik, die sich für den Einsatz u.a. in Werkzeugen eignet. Bei der Baugröße hat es enorme Fortschritte in Richtung Miniaturisierung bei gleicher oder erweiterter Leistungsfähigkeit gegeben. Verbessert hat sich auch die Fähigkeit, Daten zu generieren und zu transportieren. Wichtig ist aber jetzt, aus der teilweise ungeheuren Anzahl an erzeugten Daten genau die Richtigen herauszufiltern und sinnvoll auszuwerten. Die Datenanalyse sollten jedoch nicht nur Werkzeugfachleute, sondern auch Messtechnik- und Elektronikfachexperten bis hin zu IT- Spezialisten übernehmen. Das wird generell künftige Forschungsprojekte auszeichnen. Gefragt ist außerdem die frühzeitige Einbeziehung der eigentlichen Endanwender.
Lassen sich Erfahrungen aus dem von Ihnen gemeinsam mit internationalen Partnern bearbeiteten EU-Projekt „Dyna-Tool – Effizienzsteigerung in der spanenden Bearbeitung“ auch auf Hybridwerkstoffe übertragen?
Frank Barthelmä: Ja, denn die Werkstoffe in einem Hybridbauteil besitzen unterschiedliche Eigenschaften wie Härte oder Struktur. Die Sensorik muss in der Lage sein, diese Eigenschaften hinreichend genau zu registrieren bzw. zu analysieren, um daraus verwertbare Aussagen für die Prozessgestaltung abzuleiten. So kann verhindert werden, dass sich ein Prozess „aufschaukelt“: Das also zum Beispiel unerwünschte Schwingungen entstehen. Wie das bereits im Ansatz durch rechtzeitiges Eingreifen in den Prozess verhindert werden kann, beweisen Projekte wie Dyna-Tool. Dort ging es darum, wie sich mit Sensorik in Werkzeugen und Werkzeugaufnahmen trotz Schwingungen Zerspanungsprozesse stabilisieren lassen.
Doch nicht nur Werkstücke, sondern auch Werkzeuge gibt es in hybrider Schichtbauweise, die dann teilweise auch additiv hergestellt werden. Wie wirkt sich der 3D-Druck auf die Verhaltensweise dieser Hybridwerkzeuge (Elastizität, Verschleiß, Schwingungsverhalten) auf das Zerspanen aus, auf was muss der Anwender achten?
Frank Barthelmä: Hier gilt natürlich der Grundsatz, dass ein hybrides beziehungsweise additiv gefertigtes Werkzeug nicht nur gleiche, sondern eher verbesserte Eigenschaften aufweisen muss als die herkömmlichen Werkzeuge. Und das ist in jedem Falle dort gegeben, wo sich mit additiven Verfahren Formelemente oder Geometrien erzeugen lassen, die sich sonst nicht verwirklichen ließen. Natürlich ist hier auch der Leichtbau ein großes Thema. Auf der Schmalkaldener Werkzeugtagung zeigten wir im GFE-Versuchsfeld beispielsweise große Bohrer in Hybridbauweise: Für Ausbohrwerkzeuge mit großem Durchmesser haben wir die sogenannte Traverse in Schichtbauweise realisiert und durch geschickte Anordnung von Hohlraumstrukturen im Innern des Werkzeuggrundkörpers die Masse des Gesamtwerkzeuges bei nachgewiesener gleicher Stabilität wesentlich senken können. Ein weiterer Vorteil neben der Gewichtsersparnis ist, dass die Werkzeuge vor allem bei höheren Drehzahlen seltener zum Schwingen neigen und infolge des ruhigen Laufes eine Verbesserung der Qualität der Bohrungen erreicht wird.
Mehr über diese und weitere Projekte erfahren Interessenten im September 2019 auf der EMO Hannover und den dortigen Foren des VDMA Fachverbands Präzisionswerkzeuge: Welche Themen locken Sie in Hannover besonders – auch mit Blick auf Hybridwerkstoffe?
Frank Barthelmä: Mich interessieren besonders Anwendererfahrungen nach dem Motto „Aus der Praxis – für die Praxis“ – und zwar entlang der gesamten Prozesskette. Spannend wären Erfahrungen, die vielleicht sogar beim Werkstoffhersteller von „Hybridwerkstoffen“ beginnen und bis zum Endanwender reichen: Interessant wären für mich außerdem Einsatzbeispiele von Hybridwerkstoffen und -bauteilen einschließlich ihrer Wirkung auf die Energie- und Kostenbilanz des Fertigungsprozesses.
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