Einen Traditionsstandort zurück an die Spitze führen

STEX: Fraunhofer-Forschungszentrum für textile Strukturen in Chemnitz gegründet

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Prof. Lothar Kroll, Leiter der Professur Strukturleichtbau und Kunststoffverarbeitung an der TU Chemnitz, (links) und Prof. Welf-Guntram Drossel, Institutsleiter Fraunhofer IWU und Leiter der Professur Adaptronik und Funktionsleichtbau an der TU Chemnitz (rechts)

Heute wurde am Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU das Fraunhofer-Forschungszentrum »Systeme und Technologien für textile Strukturen« (STEX) gegründet. Das neue Zentrum kooperiert eng mit der Professur Strukturleichtbau und Kunststoffverarbeitung der Technischen Universität Chemnitz. Der Freistaat Sachsen unterstützt die Gründung von STEX mit einer Anschubfinanzierung von fünf Millionen Euro bis 2019. Die Mitarbeiterzahl soll bis dahin von derzeit fünf auf vierzig angewachsen sein.

Die Geschichte des Textilstandortes Chemnitz ist traditionsreich: Baumwollwebereien und -druckereien waren im 18. Jahrhundert die Säulen der Chemnitzer Wirtschaft und vermarkteten ihre Produkte weltweit. Als der Bleicher und Kolorist Georg Schlüssel 1770 mit der Kattundruckerei ein Verfahren zum Druck auf Baumwollgewebe einführte, legte er damit auch einen wichtigen Grundstein für die industrielle Produktion in der Region. Spinnereien waren die ersten Fabriken in Sachsen. Diese lange Tradition an Technologie- und Maschinenentwicklung schlägt sich in der hohen Dichte an textilverarbeitenden Unternehmen in Sachsen nieder. Heute arbeiten im Freistaat schätzungsweise 14.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in etwa 250 Textilunternehmen. Der industrielle Fokus liegt insbesondere im Bereich von Strukturbauteilen im Automobil- und Maschinenbau sowie auf technischen Textilien.

Produziert wird aber auch für die Luftfahrt, das Bauwesen und die Medizin. Dabei wächst der Markt branchenübergreifend rasant: Im Zusammenhang mit dem Einsatz von carbonfaserverstärkten Kunststoffen (CFK) in der Automobilindustrie gehen Marktforscher von jährlichen Wachstumsraten zwischen 30 und 40 Prozent aus. Die Besonderheit solcher textiler Materialien: Sie sind leicht, belastbar, hitze- und korrosionsbeständig. Technische Textilien für Anwendungen in Hochleistungsbauteilen mit belastungs- und funktionsgerechten Eigenschaften sind der Wachstumsmotor für die ganze textile Branche.

»Eine wichtige Grundvoraussetzung für das Ausschöpfen dieser Potentiale sind serienfähige Fertigungsprozesse für textile Strukturen«, erläutert Prof. Welf-Guntram Drossel, Institutsleiter des Fraunhofer IWU. »Die Kosten für den Materialeinsatz und den Bauteilherstellungsprozess müssen deutlich gesenkt werden, gerade um den für Leichtbaubestrebungen attraktiven Werkstoff CFK in großem Stil und zu wettbewerbsfähigen Kosten in das Auto integrieren zu können, aber auch um die Fertigung an den Bedarf nach immer individuelleren Produkten anzupassen. Hierzu müssen wir über neue Technologien sowie die dazugehörigen Sondermaschinensysteme nachdenken und Innovationen dann gemeinsam mit den Unternehmen in die Praxis bringen.«

Hier soll das neue Fraunhofer-Forschungszentrum »Systeme und Technologien für textile Strukturen« anknüpfen und die Leichtbaukompetenz des Fraunhofer IWU wesentlich erweitern. Die Aktivitäten von STEX werden eng mit dem seit 2011 in der Oberlausitz arbeitenden Kunststoffzentrum Oberlausitz verknüpft. Auch ist eine intensive Zusammenarbeit mit der  Open Hybrid Lab Factory e. V. in Wolfsburg geplant, die sich intensiv mit der gesamten Wertschöpfungskette von funktionsintegrierten hybriden Leichtbaukomponenten befasst. In beiden Kooperationsprojekten ist das Fraunhofer IWU zum Teil federführend involviert. Darüber hinaus ist eine enge Vernetzung mit weiteren Fraunhofer-Instituten sowie der 2009 gegründeten Chemnitzer Allianz Textiler Leichtbau (ATL) geplant, in der zwei Institute und zwei AnInstitute der TU Chemnitz kooperieren. Dass das Miteinander von Universität, dem Fraunhofer IWU sowie der Chemnitzer Allianz Textiler Leichtbau in der Vergangenheit bereits sehr gut funktioniert hat, zeigt die Bewilligung des deutschlandweit ersten und einzigen Bundesexzellenzclusters für Leichtbau »Technologiefusion für multifunktionale Leichtbaustrukturen« MERGE im Jahr 2012 an der TU Chemnitz, an dem alle genannten Partner beteiligt sind.

Im neuen Fraunhofer-Forschungszentrum wird diese Kooperation weiter intensiviert. »Chemnitz bietet für das neue Forschungszentrum STEX hervorragende Ausgangsbedingungen«, erläutert Prof. Lothar Kroll, Leiter der Professur Strukturleichtbau und Kunststoffverarbeitung sowie Mitinitiator des neuen Fraunhofer-Forschungszentrums. Am Forschungs- und Entwicklungsstandort bestehen bereits enge Verbindungen zur regionalen Wirtschaft und international tätigen Großunternehmen. Sachsen hat zudem deutschlandweit die höchste Dichte an Forschungseinrichtungen mit dem Fokus auf technische Textilien. »Was fehlt, ist die angewandte und sehr praxisnahe Forschung, für die Fraunhofer steht«, so Kroll. »Mit STEX wollen wir insbesondere den Wissens- und Technologietransfer in die Unternehmen der Region auf eine neue Stufe heben und Chemnitz zum führenden Textilforschungsstandort in Deutschland ausbauen.«

Um das Potential von Hochleistungsfasern voll auszuschöpfen, sollen gemeinsam und anwendungsnah sowohl innovative Technologien als auch Anlagen entwickelt werden. So stehen in enger Kooperation mit Industriepartnern beispielsweise neuartige Textilmaschinen, Technologien und Schnittstellen für faserverstärkte Halbzeuge, In-Line-Textilprozesse für Near-Net-Shape-Strukturen, Technologien textiler und kunststoffbasierter Fertigungsprozesse sowie Preformtechnologien für bionisch verstärkte Leichtbaustrukturen im Forschungs- und Entwicklungsfokus. Als Sitz des neuen Forschungszentrums ist der Industrie- und Technologiepark ITC in Chemnitzangedacht. Hier ist die Anmietung von rund 750 m² Büro und Gewerbeflächen für die zunächst fünf Mitarbeiter sowie den Aufbau eines eigenen Maschinenparks geplant. Bis 2019 sollen vierzig Forscherinnen und Forscher beschäftigt sein. Die Leitung des neuen Forschungszentrums übernimmt Prof. Lothar Kroll. Organisatorisch wird STEXam Fraunhofer IWU in den Wissenschaftsbereich Mechatronik und Funktionsleichtbau von Prof. Welf-Guntram Drossel eingeordnet.

Kontakt:

www.iwu.fraunhofer.de