Zwei parallel verlaufende, jeweils 1.224 Kilometer lange Erdgasleitungen wurden kürzlich am Meeresboden der Ostsee verlegt. Die Solitaire, mit 300 Metern Länge und rund 41 Metern Breite das größte Pipelineschiff der Welt, war im Finnischen Meerbusen im Einsatz. 57.000 Rohre wurden von einer 405 Mann starken Spezialcrew verschweißt und ins Meer hinab gelassen. An Bord befand sich auch deutsche Maschinenbautechnik: Eine erstmals für diesen Einsatz auf dem Schiff installierte Anlage der Erdwich GmbH aus Kaufering sorgte dafür, dass die bei der Verarbeitung der Rohre anfallenden Späne um mehr als das 3,5-fache ihres Ursprungsvolumens reduziert wurden. Auf diese Weise wurde weniger von dem knapp bemessenen Lagerplatz benötigt. Zudem konnten teure Entsorgungskosten eingespart werden.
Rund um die Uhr, an sieben Tage in der Woche war die Besatzung auf der Solitaire fast ein Jahr lang im Einsatz. 342,5 Kilometer misst das Teilstück derOstseepipeline, das von dem Spezialschiff aus verlegt wurde. Dazu wurden immer zwei der rund 25 Tonnen schweren und zwölf Meter langen Stahlrohre in der an Bord befindlichen Fertigungsanlage doppelt geschweißt, anschließend wurde der 24-Meter-Strang zur Hauptleitung transportiert, mit dem Pipelinestrang verbunden und danach mit Kränen auf den Meeresboden hinab gelassen. Da die Schweißnaht für mindestens die nächsten 50 Jahre halten soll, wurden die Enden der Rohre vor dem Schweißen plangedreht, also so angeschrägt, dass die Übergänge zwischen den einzelnen Rohren nachher absolut dicht sind. Bei diesen Arbeiten fällt jedoch eine große Menge Späne an, die eine Länge von teilweise einem Meter und einen großen Querschnitt von 60 mm2 haben.
Spezialshredder für große, harte und zähe Materialreste
„Diese Stahlreste sind sehr scharf und dadurch für die Besatzung gefährlich. Außerdem nehmen sie eine Menge Platz ein“, erklärt Jaap Wijsmann, Technical Inspector bei Allseas, dem Eigentümer und Betreiber der Solitaire. Zur Lagerung der sperrigen Späne waren bei vorherigen Einsätzen vier bis sechs 20-Fuß-Container notwendig. Mehrmals pro Woche mussten Spezialschiffe den Materialabfall von der Solitaire abholen, was auf die Dauer hohe Kosten verursachte. Um bei dem komplexen Projekt auf der Ostsee wertvolle Platzkapazitäten und Geld einsparen zu können, wurde erstmals ein für solche Einsätze speziell angefertigter Shredder auf dem Schiff installiert. „Die größte Herausforderung waren die Eigenheiten des Materials: Es ist groß und sperrig, extrem zäh, gleichzeitig sehr hart und dadurch nur schwer zu zerkleinern“, so Andreas Ostermeier, Projektleiter bei der Erdwich Zerkleinerungssysteme GmbH, die die Anlage für die Solitaire entwickelte, herstellte und auf das Schiff brachte.
Die Anlage besteht aus einem elektrohydraulisch angetriebenen Spänezerkleinerer, der durch einen Förderer und eine Brikettierpresse ergänzt wird. Eine Tonne des sperrigen Materials kann die Anlage pro Stunde bearbeiten und reduziert dadurch dessen Volumen um mehr als das 3,5-fache. „Seitdem benötigen wir nur noch einen Container für die Reste“, sagt Wijsmann. „Die Kosten für die Lagerung und den Abtransport sind um ein Vielfaches gesunken. Außerdem können wir das Material in dieser Form kostenlos zur Entsorgung abgeben.“
Drei verschleißfeste Messerwellen zerkleinern das Material auf die vorgegebene Größe
Die an vier Rohrbearbeitungsmaschinen anfallenden Späne werden zunächst per Förderband in den Trichter des Zerkleinerers transportiert. Damit die beim Schneiden verursachten hohen Temperaturen nicht die Messer angreifen, befindet sich im Trichter ein Sprühsystem für Kühlschmierstoff. Der genutzte Schmierstoff sammelt sich in einem Tank, wird wieder zurück gepumpt und kann so mehrmals verwendet werden. Vom Trichter gelangen die Späne in das Schneidwerk des Erdwich-Shredders vom Typ H480/3-750. Drei exakt gefräste und verschleißfeste Messerwellen aus Spezialstahl erfassen hier das Material und zerkleinern es schonend auf eine durch ein integriertes Lochsieb vordefinierte Stückgröße. Nach diesem Prozess werden die Späne auf einem weiteren Förderband in die hydraulische Brikettierpresse transportiert.
Das komplette System inklusive der beiden Antriebe mit einer Leistung von je 44 kW sowie dem Späneförderer und der elektrischen Schaltanlage wurde im Freien, auf dem Deck des Schiffs, installiert. Dies erfordert eine besonders hohe Resistenz gegenüber unterschiedlichsten Umwelteinflüssen: „Wir mussten die Anlage so konstruieren, dass sie zum einen unempfindlich gegen Wasser, Salz und hohe Luftfeuchtigkeit ist. Zum anderen muss sie extremen Temperaturen standhalten, sowohl sehr hohen als auch sehr niedrigen, da das Schiff auf allen Weltmeeren unterwegs ist“, berichtet Ostermeier. Dazu wurde beispielsweise der Schaltschrank zusätzlich mit einem Klimagerät und einer speziellen Heizung ausgestattet. An die Antriebsaggregate installierten die Erdwich-Techniker Heizstäbe sowie wasserunempfindliche Elektromotoren und Sensoren. Wartung und Umbauten können von der Besatzung selbst durchführt werden.
Zudem sollte vor allem das Schneidwerk der Zerkleinerungsmaschine sehr robust sein, damit der gesamte Betriebsablauf möglichst wenig durch Wartungsarbeiten gestört wird. Konstruiert wurde das System daher nach dem Baukastenprinzip. Dieses Konzept erlaubt eine Fortführung der Arbeiten auch bei Ausfall einer der Komponenten: Wird beispielsweise die Brikettierpresse gewartet, kann das Material direkt vom Zerkleinerer in den Container transportiert werden. „Die dazu notwendigen Umbaumaßnahmen können einfach von der Crew selbst durchgeführt werden“, so Ostermeier. „Auch die Software ist so ausgerichtet, dass sie sich leicht an die sich ändernden Aufgaben anpassen lässt.“
Da nicht an allen vier Rohrbearbeitungsmaschinen stetig die gleiche Menge an Material anfiel, war es wichtig, dass die Anlage problemlos das recht unregelmäßige Spänevolumen bewältigen kann. Eine elektronische Füllstandsüberwachung sorgt dafür, dass die Taktung der einzelnen Komponenten automatisch reguliert wird. „Auf diese Weise kommt die Anlage auch mit großen Schwankungen der Materialmenge zurecht“, so Ostermeier. Eine weitere Schwierigkeit waren die beengten Platzverhältnisse auf dem Schiff. Um dennoch sicherzustellen, dass die Anlage von allen Seiten frei zugänglich ist, wurden etwa die Antriebe an der Wand befestigt.
Nur wenige Tage Zeit hatten die Ingenieure, um die schweren Komponenten, aus denen sich das System zusammensetzt, auf das Schiff zu bringen, da die Solitaire nur sehr kurz am Hafen in Rotterdam anlegte. Installiert wurden die Teile dann während der Fahrt auf dem Weg zum nächsten Einsatzort an der norwegischen Westküste. Zur ersten Inbetriebnahme wurde ein Erdwich-Techniker eigens per Hubschrauber auf das Schiff gebracht. Die Trägergesellschaft Nord Stream rechnet damit, dass die Leitung wie geplant im letzten Quartal 2012 in Betrieb gehen kann.
Mit jährlich rund 55 Milliarden Kubikmetern russischen Gases, die dann auf dem Meeresboden durch 100.000 zusammengeschweißte Einzelrohre transportiert werden, sollen die Bewohner der Europäischen Union für einen Zeitraum von mindestens 50 Jahren versorgt werden. Auf diese Weise wird voraussichtlich fast ein Drittel des bis dahin zusätzlich benötigten Gasimportbedarfs der EU für die nächsten Jahrzehnte gedeckt werden. Die Solitaire indes wird bereits für ihren nächsten Einsatz vorbereitet.