Verfügbarkeit ist das Maß der Dinge

Für Hersteller von Werkzeugmaschinen und Präzisionswerkzeugen sind Dienstleistungen ein zentrales Verkaufsargument

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Schlechte Produkte kann sich im internationalen Wettbewerb schon lange kein Hersteller von Werkzeugmaschinen oder Präzisionswerkzeuge mehr leisten. Qualität ist Grundbedingung. Den Ausschlag für einen Vertragsabschluss geben deshalb oft die „Soft Skills“, allen voran der Service rund ums Produkt. Bedingung: Der Kundennutzen muss klar erkennbar sein – dann lässt sich mit Service sogar Geld verdienen.

„Nahezu jedes Projekt, mit dem wir uns derzeit im Bereich Maschinenbau beschäftigen, hat als ein zentrales Thema den Service, und das wird sich auch nicht ändern.“ Wolfgang Weger ist Experte für Maschinenbau und Automatisierungstechnik bei der Unternehmensberatung Oliver Wyman in München. Er beschäftigt sich intensiv mit Serviceleistungen im Maschinen- und Anlagenbau, und bestätigt den zunehmenden Stellenwert, den Dienstleistungen in den Unternehmen genießen. Naturgemäß unterscheiden sich allerdings die Sichtweisen der Beteiligten. „Für den Endkunden ist es einfach essentiell, seine Maschinen am Laufen zu haben und dass die notwendigen Wartungs-, Reparatur- und Ersatzteilprozesse so schmerzlos wie möglich ablaufen, damit er maximale Produktivität erzielen kann.“ Das gelte gerade jetzt, wo fast alle Marktteilnehmer kapazitiv an der Grenze fahren.

Die Hersteller von Werkzeugmaschinen auf der anderen Seite hätten „in den letzten fünf, sechs Jahren erkannt, dass mit dem Servicethema Geld zu verdienen ist und haben entsprechende Geschäftsmodelle aufgebaut“. Dennoch findet Weger das Thema Service „immer noch stiefmütterlich behandelt“. Man sei noch weit davon entfernt, abgesehen von wenigen Ausnahmen wie beispielsweise der DMG Services von Gildemeister, dieses Geschäft eigenständig und ganzheitlich zu betreiben. Seiner Meinung nach überlagere das boomende Neugeschäft Schwächen, da eine wachsende Maschinenbasis automatisch das Servicegeschäft mit wachsen lasse: „Man hat das Gefühl, man wird besser, man wächst, aber ohne dass die Leistungsfähigkeit und die Prozesse substanziell besser werden.“ Er mahnt deshalb zu Einführung industrialisierter Prozesse wie im Neumaschinengeschäft: „Wir brauchen auch bessere Kenngrößen zum Beispiel zur Messung der Service-Performance, Kundenzufriedenheit oder Preisqualität.“

Wie aus Service Geschäft wird, macht die Gildemeister AG vor. So konsequent wie kaum ein anderes Unternehmen führt man dort den Servicebereich als eigenständige Einheit. 31 Prozent seines Umsatzes erzielte der Konzern mit dem Bereich DMG Service. 2007 wurden die Kunden erstmals weltweit 24 Stunden lang an sieben Tagen in der Woche vom DMG Service betreut. Und so konnte der Vorstandsvorsitzende Dr. Rüdiger Kapitza auf der letzten Bilanzpressekonferenz im März vermelden: „Das Segment Services trug wiederum deutlich zum positiven Geschäftsverlauf bei. Der Umsatz stieg um 18 Prozent auf 479,1 Mio Euro. Unser erfolgreich eingeführtes Angebot ‚24/7’ wurde gut angenommen und hat die Kundenbindung nachhaltig gestärkt.“

Naturgemäß schwer tun sich gerade klein- und mittelständische Unternehmen (KMU) mit der Globalisierung. Selbst den Großen falle es, so Weger, schwer, wirklich weltweit ein dichtes Servicenetz zu weben. Partnerschaften stünden die Unternehmen meist reserviert gegenüber, zu groß sei immer noch die Angst vor Know-how-Abfluss. Weger: „Mir ist nur eine Initiative in China bekannt, bei der das unternehmensübergreifend funktioniert.“ Kleiner Trost am Rande: Die Vertreter anderer Wirtschaftsräume wie USA und Asien tun sich genau so schwer, im internationalen Vergleich stehe der deutsche Maschinenbau gar nicht einmal schlecht da. Wegers Rat: „Den KMU empfehle ich, sich geografische Schwerpunkte zu suchen, sonst geht man ein unkalkulierbares Risiko ein.“

Ähnlich sieht dies Prof. Dr.-Ing. Horst Meier vom Lehrstuhl für Produktionssysteme der Fakultät für Maschinenbau an der Ruhr-Uni Bochum: „Der Stellenwert der Dienstleistungen nimmt zu, viele machen ihr Geschäft aber nur im Bereich Ersatzteile.“ Bei innovativen neuen Dienstleistungen, die herausgestellt würden, gebe es „erhebliche Probleme, diese nennenswert an den Mann zu bringen; am Anfang muss der Kundennutzen stehen, sonst nutzt die beste Leistung nichts“. Genau wie Weger sieht Prof. Meier Defizite bei der Erbringung der Dienstleistungen. „Sie dürfen nicht handwerklich, sozusagen spontan, erbracht werden, sondern man muss sich im Vorfeld Gedanken machen, wie die Prozesse laufen sollen.“ So müsste auch der Dienstleistungsbereich jährliche Rationalisierungserfolge bringen, beispielsweise durch Techniken wie Teleservice oder Condition Monitoring. (Lesen Sie hierzu bitte auch das beiliegende/anhängende Interview mit Prof. Meier)

Auch beim Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik IPK in Berlin ist man sich der Mankos bewusst. Projektleiter Eckhard Hohwieler: „Bei den Werkzeugmaschinenherstellern wird Dienstleistung noch nicht als eigenes Geschäftsfeld erkannt, das es strategisch zu entwickeln gilt und mit dem ein erheblicher Umsatzanteil und auch Rendite erzielt werden kann“, so sein Urteil. Nach den Erfahrungen des IPK liege der Umsatzanteil in der Regel unterhalb 15 Prozent. „Hier verbirgt sich ein Potenzial, das erschlossen und ausgebaut werden muss und 20 bis 30 Prozent erreichen sollte.“ Dass so etwas gehe, beweise die Investitionsgüterindustrie, die vor allem mit großen Anlagen durch Wartungs- und Serviceverträge schon bis zu 50 Prozent Umsatzanteil erwirtschafte. Um weiter zu kommen, müsse Dienstleistung als profitables Geschäftsfeld strategisch bis hin zum „Full Service“–Konzept ausgebaut werden. Auch Hohwieler mahnt eine Professionalisierung des Service an: „Entwicklungsanstrengungen fokussieren meist auf die technische Unterstützung wie Diagnosemöglichkeiten an der Maschine, Teleservice oder Tools für den Servicemitarbeiter; parallel müssen aber die internen Prozesse für die Serviceabwicklung optimiert werden.“

So empfiehlt auch Hohwieler, Dienstleistungen übergreifend im Unternehmen zusammenzufassen, die dann zur Unterstützung des Kunden angeboten werden, vom klassischen technischen Kundendienst über Qualifizierungsangebote, Technologiesupport bis hin zu Leasingmodellen bei der Finanzierung. Ebenso ließen sich neue Angebote wie Wartungsservice mit Verfügbarkeitsgarantie entwickeln. Vorteil für den Anbieter: „Er kann so eine engere und umfassendere Betreuung seiner Kunden bieten, Informationen aus diesen Aktivitäten zurückliefern und für die Anpassung seiner Produkte und Dienstleistungsangebote nutzen.“ Der Kunde sei in erster Linie am optimalen Einsatz von Maschinen und Werkzeugen für seine Produktionsaufgabe interessiert. Dienstleistungen müssten sich daran orientieren, dem Kunden genau dabei zu helfen und gleichzeitig einen Mehrwert oder Kostenvorteil verschaffen. „Dabei ist besonders wichtig, dass für ihn transparent ist, was geleistet wurde und wofür er bezahlt.“

Vorreiter im Bereich Teleservice sind die Chiron-Werke GmbH & Co. KG in Tuttlingen, Hersteller von Bearbeitungszentren. Der ePS Network-Service bildet die Basis, damit sowohl die eigenen Service-Spezialisten als auch die zuständigen Instandhalter beim Anwender rund um die Uhr auf die Betriebs- und Störinformationen der angeschlossenen Maschinen zugreifen können. ePS Network-Service funktioniert weltweit über Internet und liefert quasi auf Knopfdruck ein detailliertes Abbild über die Historie und den aktuellen Zustand der vernetzen Maschinen. Das System lässt sich so detailliert konfigurieren, dass bei einem Servicefall die zuständigen Stellen umgehend eine E-Mail oder SMS bekommen. Zudem lassen sich jederzeit spezielle Test- und Diagnoseprogramme entweder durch den Bediener vor Ort oder von der Service-Abteilung aktivieren und online auswerten.

Paul Buschle ist Bereichsleiter Service bei Chiron und bekennt: „Ich bin ein absoluter Verfechter von Teleservice.“ Der Servicefachmann sieht allerdings mit Skepsis, was sich da am Markt so unter dem Begriff Teleservice tummelt. „Das wird oft so beschrieben, als ob man beim Kunden mal auf die Maschine schaut und ihm hilft. Das macht für mich aber nur 10 Prozent aus. Wir haben bei einem Maschinenfehler durch ePS die Möglichkeit, automatisch eine Information geschickt zu bekommen, die mir eine Zustandsanalyse ermöglicht, ohne auf die Maschine selbst gehen zu müssen.“ Das funktioniere weltweit, und auf Basis dieser Information erfolge sofort eine Diagnose. „Wir reagieren nicht mehr auf einen Hilferuf, sondern wir rufen aktiv den Kunden an, und zwar innerhalb von 15 bis 30 Minuten.“ Hinzu kommt, dass sich alle so ausgerüsteten und an den Service angeschlossenen Maschinen einmal wöchentlich per E-Mail bei Chiron melden. „So sehen wir frühzeitig, ob alles funktioniert oder es irgendwelche Veränderungen gibt, auf die wir reagieren müssen“, ist Buschle stolz.

Seit 2004 verkaufen die Tuttlinger alle Maschinen mit diesem Ferndiagnosetool. Das Geschäftsmodell: Im ersten Jahr ist der Service kostenlos. Für Chiron hat das Tool dennoch den Vorteil, viel schneller und genauer auf Fehler reagieren zu können – und damit die Kosten zu senken. Und die Langzeitauswertung der Maschinendaten liefere wertvolle Impulse für die kontinuierliche Verbesserung und Detailoptimierung der Chiron-Fertigungszentren. Will der Kunde nach einem Jahr den Service weiter nutzen, zahlt er eine Flatrate für jeweils ein Jahr. Der Service scheint gut anzukommen. Paul Buschle: „Wir haben einen Kunden, dem kommt keine Maschine ohne Teleservice mehr ins Haus.“ Auch hierbei geht es dem Kunden vor allem um Verfügbarkeit seiner Maschinen. Kein noch so guter Service führt daran vorbei, die Komponenten so zuverlässig wie möglich zu machen. „Wenn sie dann aber doch einmal ausfallen, dann müssen wir das möglichst schon im Vorfeld erkennen können, um aktiv zu werden, ohne den Kunden zu belasten.“ Condition Monitoring lautet das Stichwort. Buschle macht sich jedoch keine Illusionen: „Da braucht man sehr viel Know-how, um genau feststellen zu können, was mit der Maschine los ist und auf dem Lebensweg so passiert ist.“ Denn auch der Kunde kann in der Bedienung Fehler machen, die nicht zu einem sofortigen Ausfall, wohl aber zu einem vorzeitigen Verschleiß führen.

Die Grob-Werke GmbH & Co. KG, Mindelheim, sind ein bedeutender Hersteller von Bearbeitungszentren. Aufgrund der mittelfristigen Serviceziele erwarte man ein stetes, überproportionales Wachstum. Eugen Nägele ist Bereichsleiter Service, der bei Grob wie ein Profitcenter ausgerichtet und direkt dem Vorsitzenden der Geschäftsführung unterstellt ist: „Basis-, Ergänzungs- und Top-Leistungen bilden eine verständliche Leistungspyramide, die allen Kunden zur Verfügung steht.“ Darüber hinaus sieht Nägele eine besondere Stärke darin, auf individuelle Kundenvorstellungen mit „fantasiereichen, auf Erfahrung basierenden Konzepten zu antworten“. Auch er sieht Dienstleister zunehmend in der Pflicht, „einen entscheidenden Beitrag zur Profitabilität der Kundeninvestition zu leisten“. Hierbei bilde das Wissen um die Lebenszykluskosten in Verbindung mit der Nutzungsstrategie der Fertigungssysteme und Maschinen das Rückgrat für einen kontinuierlichen Dialog mit den Kunden.

Telediagnostik und Teleservice werden bei Grob heute in allen Produktlinien aktiv angeboten. Den Nutzen für die Kunden verdeutliche man durch „stark kundenorientierte und differenzierte Leistungspakete für verschiedene Verwendungsphasen der Maschine.“ Das Thema Condition Monitoring sieht Nägele ähnlich wie sei Kollege von Chiron: „Es ist Instrument, um die Planbarkeit von notwendigen und somit störenden Eingriffen in komplexe Fertigungssysteme und deren ‚Rund-um-die-Uhr-Nutzung’ zu erreichen, man muss aber hierbei der technischen Interpretation der Ergebnisse in Kombination mit der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit abgeleiteter Maßnahmen höchstes Augenmerk schenken.“ Unabhängig davon gelte weiterhin, den Spagat zwischen Kundenzufriedenheit und Ergebniseffizienz zu meistern. „’24/7/360-Modelle’ der Erreichbarkeit, kurze Reaktionszeiten, professionell reagierendes Servicepersonal und die Verfügbarkeit aller produktionsrelevanter Ersatzteile in einem Paket zu moderaten Preisen werden zunehmend zukünftige Investitionsentscheidungen beeinflussen“, ist sich Eugen Nägele sicher.

Betroffen von steigenden Kundenanforderungen sind auch die Hersteller von Präzisionswerkzeugen. Schon lange reichen gute, pfiffige Werkzeuge allein nicht mehr aus, um die Kundschaft zufrieden zu stellen. Gefragt ist das „Rundum sorglos–Paket“, das den Kunden schon bei der Fertigungsplanung unterstützt und über den gesamten Lebenszyklus eines Werkzeugs begleitet. Und wenn möglich, sollten alle Arten von Werkzeugen aus einer Hand kommen, um Logistikkosten zu sparen. Denn nicht selten erreichen oder überschreiten die die Beschaffungskosten sogar die reinen Werkzeugkosten.

„Was wir heute bieten und sehr stark angenommen wird, ist der WPS Walter Productivity Service“ erklärt Peter Witteczek, Vorstandsvorsitzender der Walter AG, Tübingen. „Das beginnt schon mit der Anfrage: Wir analysieren den gesamten Prozess des Bauteils, von der Planung, der Konstruktion, der Aufspannung über die Maschine, die Zerspanung, den Prozess bis hin zur Technologie.“ Auf Wunsch des Kunden erstellt Walter eine komplette Neuplanung bis zur Nullserie. „Dann kommen wir mit dem fertigen Produkt zum Kunden und sagen ihm: ‚Wir senken Dir die Kosten für dieses Bauteil, das Ganze kostet eine bestimmte Summe’; das geht bedeutend weiter als das übliche Toolmanagement.“ Zwar biete man Toolmanagement auch an, wenn der Kunde den Großteil seiner Werkzeuge von Walter beziehe, aber man will deutlich mehr sein als ein Logistikpartner. „Wir wollen unseren Kunden Produktivitätsverbesserung bringen.“ WPS wurde vor zwei Jahren in Deutschland eingeführt. „Jetzt sind die Erfolge da und wir starten auf weiteren großen Märkten wie USA und China. Wir erwarten dadurch einen wesentlichen Umsatzanteil in den kommenden Jahren.“

Witteczek sieht weiteres Potenzial, vor allem im Zusammenspiel zwischen Endverbraucher, Werkzeugmaschinen– und Werkzeughersteller. „Dafür sind heutzutage aber noch zu viele Animositäten zwischen den Beteiligten da. Wir könnten für den Endverbraucher noch sehr viel machen, aber er selbst muss sich auch öffnen.“ Wie lange es bis dahin auch noch dauern mag, es gilt: „Der Service hat Zukunft“. Offenheit ist auch die Voraussetzung, damit so genannte Betreibermodelle funktionieren. Über sie wird bislang weit mehr diskutiert, als dass sie tatsächlich angewandt würden, aber „das haben wir heute schon in Einzelfällen in der Massenindustrie, wo wir pro Gutteil bezahlt werden“, sagt Witteczek. Bedingung: „Es muss eine wirklich Partnerschaft zwischen Hersteller und Maschinenbetreiber entstehen, dann kann man so einen Schritt machen.“

Bei den Werkzeugen liegt nach den Erfahrungen der Mapal GmbH, Aalen, das Tool Management ganz besonders im Trend – und zwar sowohl bei Großunternehmen als auch im Mittelstand. Dr. Dieter Kress, Geschäftsführender Gesellschafter der Mapal Dr. Kress und Vorsitzender des Fachverbands Präzisionswerkzeuge im VDMA: „Dabei wird jedoch die Werkzeugverwaltung zunehmend an einen Werkzeughersteller oder ein Logistikunternehmen ausgelagert.“ Kein Wunder, ist doch eine effektive Werkzeugverwaltung zeit- und kostenintensiv, birgt mithin großes wirtschaftliches Einsparpotenzial. Beim Kunden werden dadurch Kapazitäten für andere Aufgaben frei. Dieser Trend überschreitet mittlerweile die nationalen Grenzen bei weitem. Die Globalisierung erfasst auch Tool Management-Projekte, insbesondere bei Unternehmen, die ihre Prozesse weltweit standardisieren möchten. Dr. Kress: „Ein globales Netzwerk an Know-how und Technologiekompetenz ist daher für einen Tool Manager unabdingbare Voraussetzung, um den Kunden die gewünschte Standardisierung und Wirtschaftlichkeit auf globaler Ebene anbieten zu können.“

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www.amb-messe.de