Und wie hoch fliegen Sie?

Was bislang in Science-Fiction-Romane oder die Tagträume abenteuer-hungriger Jungen und Mädchen gehörte, ist in das Reich des Machbaren gerückt: Ein tragbarer, voll funktionsfähiger Flugapparat.

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Zum Preis eines kleineren Gebrauchtwagens kann sich jeder einen so genannten Motorschirm – einen Rucksackmotor mit Gleitschirm – zulegen. Wer besonders starke Nerven hat, braucht diese Maschine dann nur noch etwas aufzumöbeln, um – in den Fußstapfen des britischen Abenteurers und Fernsehstars Bear Grylls – den Mount Everest zu überfliegen.

Grylls ist zu Ruhm und Ansehen gelangt. Weniger bekannt ist jedoch der Entwickler und Hersteller des Motorschirms, den er bei seinem Rekordflug im Jahr 2007 steuerte: sein enger Freund Giles („Gilo“) Cardozo, 30-jähriger Pionier der Lüfte sowie Gründer und Geschäftsführer der Firma Parajet im südenglischen Städtchen Mere (Wiltshire). Wie auch die übrigen Motorschirme des kleinen, viel beschäftigten Betriebs entstand der für Höhenflüge optimierte Apparat auf einer Haas CNC-Maschine, die Cardozo eigentlich eher durch Zufall in die Hände fiel.

„Vor einigen Jahren erwarben wir die Aktiva eines Werkzeugherstellers hier vor Ort in Mere“, erläutert er. „In dem Sammelsurium von Geräten fand sich auch ein vertikales CNC-Bearbeitungszentrum von Haas Automation, Modell „VF-2“, Baujahr 1994.“

Obwohl die Maschine während ihres schon fast 15-jährigen Lebens nicht eben geschont worden war, erwies sie sich als zuverlässig und genau genug für verschiedenste Präzisionsteile der Parajet-Produkte. Beispielsweise werden etliche Bauteile für den XT 180, einen neuen 2-Takt-Rucksackmotor, auf ihr gefertigt.

„Die Haas-Maschine kam uns wie gerufen“, so Cardozo weiter. „Wir brauchten dringend ein CNC-Bearbeitungszentrum, aber ein fabrikneues Modell konnten wir uns noch nicht leisten.
Ein echter Glücksfall!“

Seit der Unternehmensgründung im Jahr 2000 – ganz zu Beginn des bis heute anhaltenden Booms für den Motorschirmflug – ging es für Cardozo steil bergauf. Heute sind seine Produkte zur führenden Marke dieses noch jungen Sports avanciert. Talent zur Selbstvermarktung – in dem Cardozo seinem Fliegerkollegen Richard Branson in nichts nachsteht – dürfte dabei nicht ganz unerheblich sein.


„Erfahrung mit Flugzeugkomponenten habe ich schon als Jugendlicher gesammelt“, erzählt er. „Eines Tages habe ich dann den Motorschirmflug entdeckt – eine damals noch relativ unregulierte Sportart und damit der ideale Einstieg in die Luftfahrtindustrie! Um gleich in der turbulenten Frühphase mitzumischen, habe ich kurzerhand Parajet gegründet.“

Als junger Unternehmer erkannte Cardozo zu seiner Überraschung, dass die Konkurrenz weitgehend mit Fertigkomponenten arbeitete. „Manche Motorschirme waren sage und schreibe aus Teilen von Gokarts, Rasentrimmern und Motorrädern zusammengestückelt“, schildert er. „Das wollte ich anders machen und setzte von Anfang an auf Eigenbau. Auch den Motor haben wir selbst konstruiert. Mittlerweile fertigen wir ihn auf dem Haas BAZ „VF-2“.“
Allerdings mussten zahlreiche Bearbeitungsschritte fremdvergeben werden, bevor im Januar 2009 das Haas BAZ „VF-2“ Einzug hielt. Diese Abhängigkeit von Lieferanten wollte Cardozo, ein fertigungstechnischer Autodidakt, so schnell wie möglich überwinden. Bei erster Gelegenheit holte er daher etliche wichtige Bauteile ins eigene Haus zurück.

„Das Kurbelgehäuse besteht aus der Aluminiumlegierung 6082 mit einem Siliziumanteil von bis zu 1,3 % – kein ganz einfacher Werkstoff“, erläutert er. „Es setzt sich aus zwei spiegelverkehrt angeordneten Hälften zusammen.“

Das Leben des Kurbelgehäuses beginnt als Rohling mit einem Durchmesser von knapp 180 mm und einer Tiefe von 100 mm. Dieser wird in zwei Scheiben von jeweils 50 mm Tiefe unterteilt, an denen dann die Kurbelwellenlagerung herausgearbeitet wird. Anschließend geht es zum Planfräsen auf das BAZ „VF-2“, wobei unter anderem die Aufnahmepunkte zum Zusammenfügen des Kurbelgehäuses entstehen. Die Werkstücke werden in zwei getrennten Schritten beidseitig bearbeitet. Der Bearbeitungszyklus pro Werkstück – derzeit noch rund 30 Minuten – wird nach und nach reduziert.

„Ursprünglich wurden die Kurbelgehäuse von der mittlerweile eingestellten Firma gefertigt – auf genau dem Haas BAZ „VF-2“, das heute auch wir verwenden“, so Produktionsleiter Andrew Scaramanga. „Als wir jedoch deren CNC-Programm unter die Lupe nahmen, stellten wir fest, dass viele nicht zerspanende Achsbewegungen auf Vorschubgeschwindigkeit programmiert waren, statt den Eilgang von 25,4 m/min zu verwenden. Das war schnell geändert – und die Bearbeitungszeit damit um mehr als die Hälfte reduziert.“
Die Teileprogramme für das Haas BAZ „VF-2“ generiert und testet Scaramanga offline mit der Software BobCAD-CAM. „Eine der großen Stärken des „VF-2“BAZ sind für mich die hochfunktionellen CAM-Zyklen, die in die Maschinensteuerung integriert sind“, erläutert er. „Das erleichtert die Arbeit mit einer relativ einfachen, preisgünstigen Software wie BobCAD-CAM, statt auf ein komplexeres Programm angewiesen zu sein.“

Weitere Bauteile für Motorschirme, die auf dem „VF-2“ BAZ entstehen, sind beispielsweise Kurbelwellen, Wellenböcke, Riemenscheiben und Handsteuerungen. Bevorzugter Werkstoff ist, wie schon bei den Kurbelgehäusen, die Aluminiumlegierung 6082. Doch damit ist es für die Haas-Maschine noch nicht getan: Sie bearbeitet auch zahlreiche Prototypen für Parajets ausgefallenere Luftfahrzeuge. Ein Paradebeispiel ist das Skycar – das weltweit erste für den Straßenverkehr zugelassene fliegende Auto, das bereits auf reges Interesse bei Hobbyfliegern auf der ganzen Welt stößt.

Im Kern handelt es sich um einen flotten Zweisitzer. Öffnet man ein Gleitsegel und leitet die Antriebsleistung auf einen am Heck montierten Propeller um, wird daraus im Nu ein rasantes, sicheres und vielseitiges Fluggerät, das auf Pisten oder im Gelände landen kann. Das Grundfahrzeug wurde von Rage Motorsport im britischen Dunstable gefertigt – ebenfalls unter Einsatz von Haas-CNC-Maschinen.

„Das Skycar ist für einen Nischenmarkt bestimmt“, so Cardozo. „Nichtsdestotrotz ist es natürlich das perfekte Aushängeschild für uns und unsere Technologie.“ Eine verbesserte Variante, Mk:2, steht derzeit vor der Produktionsfreigabe. Der Verkaufsstart ist für 2010 geplant. Doch Cardozo hat bereits die nächste Innovation in petto: „Gerade tüfteln wir an einem besonders spannenden Produkt“, lässt er verlauten. „Vorerst kann ich nur sagen, dass wir wesentlich größere Stückzahlen planen. In rund 18 Monaten dürfte es fertig sein.“

Bei so viel Erfindungsreichtum ist es nicht verwunderlich, dass Parajet trotz der Rezession wachsende Auftragszahlen verzeichnet. Das Produktionsvolumen bei Motorschirmen ist im Vergleich zu 2008 um 65 % gestiegen. Trotz des Erfolgs dieser Sparte vernachlässigt Cardozo jedoch keineswegs die weniger spektakulären Bereiche seines Geschäfts. So werden etwa im Auftrag des britischen Verteidigungsministeriums Bauteile für unbemannte Luftfahrzeuge, so genannte Drohnen, gefertigt. Mit den Motorschirmen haben diese Arbeiten eines gemeinsam: Präzision ist oberstes Gebot.

„Es gibt wohl kaum einen besseren Beweis für die Qualität der Haas-Maschinen als unser VBZ „VF-2“, das noch nach 15 Jahren Tag für Tag hochpräzise, wiederholgenaue Arbeit leistet“, konstatiert Scaramanga. „Die Maschine hat einen beachtlichen Anteil daran, dass wir heute 80 % aller Parajet-Bauteile unter einem Dach produzieren können. Künftig möchten wir unsere Fertigungskapazitäten noch ausbauen, indem wir beispielsweise auch die besonders anspruchsvollen peripheren Bauteile für Wankelmotoren in Angriff nehmen. Unter dem Strich hilft uns das, schneller mit neuen Produkten auf den Markt zu kommen und flexibler auf Ersatzteilbestellungen zu reagieren.“

Ausflüge an den Mount Everest haben zwar ihren Reiz, doch für die meisten Parajet-Kunden stehen alltäglichere Belange wie Produktqualität und Kundendienst im Vordergrund. Während sich Gilo Cardozo den einen oder anderen Jugendtraum erfüllt, ist es ihm nicht minder wichtig, seinen Kunden Gleiches zu ermöglichen – sicher, verlässlich und stilvoll. Ist seine Firma Parajet ein Überflieger? Zweifellos, aber einer mit solider Erfolgsbasis.

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www.HaasCNC.com